Die Himmelsleiter (German Edition)
dass sie mich zum Lachen bringen.
Viele Jahre hatte ich dann Ruhe und glaubte schon, ein f ür allemal darüber hinweg zu sein. Vielleicht wäre es auch dabei geblieben, wenn mich der Herbst 1977, dieser der deutsche genannte Herbst, nicht aus der Bahn geworfen hätte. So ging es wieder los, nachts Panikattacken, tagsüber, und das war neu, die Angst auszurasten, dem Nächstbesten an die Gurgel zu gehen, Kinder vor die Straßenbahn zu stoßen, im Konzertsaal laut zu brüllen, sich mitten in der Fußgängerzone nackt auszuziehen und manches mehr, das man tunlichst unterlassen sollte. Hauptsächlich aber fürchtete ich, ich könnte mich selbst umbringen. Vielleicht hätte ich das tatsächlich getan, hätte ich nicht in einem lichten Moment die Notbremse gezogen und mich in psychotherapeutische Behandlung begeben.
Die Nachr üstungsdebatte Anfang der Achtziger, die Friedensbewegung, die ganze Weltuntergangsstimmung jener Jahre hat mich dagegen kaum berührt. Ich fühlte mich gefeit. Wie jemand, der eine schwere ansteckende Krankheit überlebt hat, war ich jetzt immun. Zwei-, dreimal hatte ich die Angst überwunden, sie konnte mir nichts mehr anhaben. Es war noch nicht einmal so, dass ich die der anderen belächelt hätte. Nein, sie, ich, wir waren wirklich gefährdet. Es war ihr gutes Recht, Angst zu haben. Sie mussten da durch, wie Kinder, die früher oder später Masern, Pocken und Röteln haben müssen. Ich hatte es gottlob schon hinter mir. Ich war der Angst entwachsen, dachte ich, so wie man einer Hose oder einem Hemd entwachsen kann.
Die Nachricht von Altomontes Tod hatte das zerbrechliche Gleichgewicht, das ich mir mit den Jahren m ühsam geschaffen hatte, unmerklich verschoben. Erst in Genf, erst im Zuge meiner grandiosen 'Ermittlungen', dieses hilflosen Strampelns, das mich immer weiter in etwas verstrickt hatte, was mehr und mehr zu meinem eigenen Fall geworden war, hatte es zu kippen begonnen. Seit jener Nacht bei Chloé meinte ich nun zu fallen, ein Sturz, der sich ohne mein Zutun beschleunigte, so als fiele ich durch luftleeren Raum. Es war noch nicht abzusehen, wo ich aufschlagen würde, auch wenn ich in jenen späten Dezembertagen manchmal meinte, es dunkel zu ahnen.
Auch der Traum war wieder da. Gestern war ich wieder geflogen, hatte meine goldenen Slalomstangen mit Bravour genommen, so als st ünde ich noch voll im Training.
DIE HIMMELSLEITER
Das Land, in das wir aus Kreta zur ückkehrten, war nicht mehr das gleiche, das wir einen Monat zuvor verlassen hatten. Es war kälter geworden, und das lag nicht am Herbst, der vor Sonne triefend wie ein falsches Szenenbild die Sinne verwirrte. Die Kälte drang aus den Maschinenpistolen der Spezialeinheiten und den gepanzerten Fahrzeugen des Bundesgrenzschutzes, es war die innere Kälte, die den Menschen wie der Odem einer schleichenden Krankheit entwich. Sie war so langsam heraufgezogen, dass man sie nur spürte, wenn man sich, wie wir, überraschend mitten drin wiederfand. Jemand hatte den Thermostat fünf Grad runter gedreht, behutsam, damit es niemand merkte.
Die Menschen hatten sich eingeigelt, als k önnte tatsächlich jeder der nächste sein. Sie glichen der verschreckten Schafherde, aus deren Mitte sich der Wolf Nacht für Nacht ein schönes Stück heraussucht. Und die Hunde spielten verrückt, gereizt bis aufs Blut und hilflos wie selten. Aber auch uns anderen, den beteiligt Unbeteiligten, war die klammheimliche Freude im Hals steckengeblieben. Im Niemandsland, in dem wir uns plötzlich wiederfanden, mussten wir uns ducken, wollten wir nicht von einer der Kugeln getroffen werden, die munter über unseren Köpfen pfiffen.
Die Entf ührung des Arbeitgeberpräsidenten sollte zur entscheidenden Schlacht werden, in deren Licht die anderen Anschläge jenes Jahres wie unbedeutende Scharmützel erscheinen. Und doch stand uns der traurige Höhepunkt noch bevor, jene Nacht, die wir am Radio verbrachten, ungläubig den Nachrichten lauschend, sie mit jenen der Auslandssender vergleichend, um dann auf die Straße hinauszustarren, so als könnten imaginäre Putschisten jederzeit die Rohrbacher Straße hinunter in die Stadt marschieren. Mord, Selbstmord, eine dunkle Inszenierung, deren Sinn für immer verborgen bleiben würde? Zum ersten Mal waren wir um das amerikanische Hauptquartier froh, das wir in unmittelbarer Nähe wussten.
In diesen Oktobertagen sah es so aus, als k önne niemals jemand wieder zur Tagesordnung übergehen. Und doch glitt der Herbst
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