Die Himmelsleiter (German Edition)
gewaltige Masse einzudringen. Im letzten Augenblick öffnete sich eine Lücke, umfing uns ein warmes, rötliches Licht. Wir fuhren in den Gotthard-Tunnel hinein.
Als abzusehen war, dass wir rechtzeitig ankommen würden, verlangsamte Chloé ihre abenteuerliche Gangart. Gegen halb Drei bogen wir auf den leeren Besucherparkplatz des Europäischen Instituts ein. Im Wachhäuschen brannte Licht. Ansonsten schien alles ruhig zu sein.
Noch auf der Fahrt hatten wir immer wieder alle Einzelheiten durchgesprochen, und doch f ühlte ich mich wie ein schlecht vorbereiteter Schauspieler vor der Premiere. In Gedanken memorierte ich meine einzelnen Schritte, ging die Kontrollen durch, die ich zu überwinden hatte, und ließ die verschiedenen Aggregate von Altomontes Maschinerie vor meinem inneren Augen Revue passieren. Noch wusste ich ungefähr, was mich erwartete. Später würde ich aber auf mich alleine gestellt sein. Mit Chloés Magnetkarte konnte ich die inneren Türen und Schleusen passieren, an dem Pförtner kam sie jetzt nicht vorbei. Nur Bells Sonderausweis würde mir Eintritt verschaffen.
Als wir uns verabschiedeten, lag wieder diese seltsame Besorgtheit in ihrem Blick, eine Mischung aus Resignation, Hoffnung und Zweifel. Sie winkte matt, und ich l ächelte tapfer zurück.
Der Pf örtner erkannte mich wieder. Man hatte ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass in der Neujahrsnacht eine Zusammenkunft auf höchster Ebene stattfinden würde, in genau einer Woche also, und ich behauptete, bestimmte Dinge könnten nur zum gleichen Zeitpunkt, was Stunde und Tag anging, vorbereitet werden. Obwohl er nicht restlos überzeugt schien, schaltete er einen Teil der Außenbeleuchtung ein und ließ mich passieren.
So gehetzt ich mich auch f ühlte, bemühte ich mich, langsam und unauffällig zu bewegen. Erst als ich den vom Eingang her einsehbaren Bereich verlassen hatte, schlug ich eine andere Richtung ein und beschleunigte meine Schritte. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte die verschiedenen Trakte, an denen ich vorbeikam, gut unterscheiden. Im spärlichen Mondlicht bildeten ihre hellen Fassaden blasse Inseln zwischen dem undurchdringlichen Schwarz der Nadelbäume. Außer Atem erreichte ich den Eingang zum weitläufigen Experimentierbereich, dessen Stollen wie bei einer Goldmine weit in den Berg hinein gesprengt worden waren.
In der Schleuse und in den G ängen brannten nur die schwachen grünen Lämpchen der Notbeleuchtung, und ich hatte Mühe, mich zurechtfinden. So anders erschien mir jetzt das, was ich in Bells Gefolge in der Geschäftigkeit des Tages durchquert hatte. Einmal meinte ich sogar, mich verirrt zu haben. Doch dann stand ich plötzlich vor dem Eingang zu Halle 7, einer Stahltür, blitzend wie der Tresor einer Bank. Durch das gepanzerte Fenster, das mir beim ersten Mal einen flüchtigen Einblick gewährt hatte, fiel jetzt Licht auf den Gang. Ich schob Chloés Magnetkarte in den Schlitz, und die schwere Tür glitt zu Seite.
Es war acht Minuten vor d rei als ich eintrat. Ich erkannte einiges wieder, was Chloé mir zuvor beschrieben hatte: die Kondensatoren, die Laseranordnung, Rechner und Kontrollpulte. Doch vieles mehr türmte sich haushoch vor mir auf, und ich blickte mich um, eingeschüchtert wie der Besucher einer Kathedrale. Ein lautes Summen und Brummen erfüllte die Luft. Irgendwo klickte es in unregelmäßigen Abständen. Zu sehen war niemand.
Ich hob den Blick, und dann sah ich ihn. Er stand auf einer kleinen Empore, den R ücken mir zugewandt. In seinem knielangen weißen Kittel, wie er mit halb erhobenen Armen seine Anlage bediente oder irgendwelche Instrumente ablas, glich er einem Hohepriester bei der Ausübung eines kultischen Rituals. Was immer er beschwor, zweifellos würde dieses Etwas nicht zögern, seinem Willen Folge zu leisten.
"Hallo Tommi." Seiner Stimme war nicht anzumerken, ob ihn mein Erscheinen überraschte oder nicht. "Wie ich sehe, hast du dich entschlossen, meiner kleinen Vorführung beizuwohnen."
F ür einen langen Moment blieb ich sprachlos. Es war weniger die Tatsache, dass er leibhaftig vor mir stand, dass er noch lebte und nicht in dem Sarg lag, der wenige Wochen zuvor vor meinen Augen in die feuchte Erde des Genfer Friedhofs versenkt worden war. Schließlich gehörte wenig Phantasie dazu, sein Wirken hinter den vielen Merkwürdigkeiten zu vermuten, über die ich in diesem Monat gestolpert war. Und doch hatte ich diesen Verdacht ein ums andere Mal
Weitere Kostenlose Bücher