Die Himmelsleiter (German Edition)
Luft zu fliegen. Ich lag hinter der Konsole, während Metallteile herunter prasselten und die Blechverkleidungen der Rechner scheppernd gegen die Wände schlugen. Dichter weißer Rauch waberte wie Bodennebel durch die Halle. Es stank nach geschmolzenem Plastik und verbrannten Haaren. Irgendwann setzte das Heulen der Alarmsirenen ein. Erst dann wusste ich, dass es wirklich vorbei war.
Der Tag graute bereits, als ich in mein Hotel zurückkehrte. Chloé war nicht da, doch das erstaunte mich nicht, obwohl ich ein Fünkchen Hoffnung wie eine brennende Kerze in diesen Morgen hinübergerettet hatte. Stand mir nicht die Prinzessin zu, nachdem ich den Drachentöter gespielt hatte? Oder war ich nur der Henker gewesen, derjenige, mit dem niemand etwas zu tun haben will? Gegen Abend würde ich sie in ihrer Wohnung in der Rue des Granges suchen und erfahren, dass sie kurz vor Weihnachten ausgezogen sei. Vor Wochen schon habe sie gekündigt.
Ich nahm zwei Schlaftabletten und schlief fast zehn Stunden. Als ich mit stechenden Kopfschmerzen wieder zu mir kam, war es bereits dunkel. Ich hatte von Altomonte getr äumt, und in meinem Traum glich er dem verrückten Professor, jenem schwarzen Männchen mit dem bösen Lächeln, das mich mit seiner Bombe Z ein halbes Leben lang gehetzt hatte.
Noch im Bett liegend, schaltete ich den Fernseher ein. Der B ürgerkrieg in Rumänien war vorbei. Ceausescu und seine Frau waren von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und anschließend hingerichtet worden.
Pl ötzlich beschlich mich ein furchtbarer Verdacht. Was, wenn die Welt, die mir so selbstverständlich erschien, das Werk von Altomontes Weltverbesserungsmaschine war? Wenn das Experiment gelungen war? Wenn ich es gar nicht verhindert hatte? Vielleicht war sie nicht die beste aller Welten, sondern nur das nächstbeste Optimum, das nächsttiefere Tal, in das die Kugel gerollt war. Eine Welt, in der der Sozialismus endgültig gescheitert war und der Kapitalismus seine unumschränkte Herrschaft angetreten hatte. Vielleicht waren die Erinnerungen, die ich im Kopf hatte, war alles, was bisher geschehen war, selbst die Explosion vor ein paar Stunden, in jenem kurzen Augenblick entstanden, in dem Altomontes Maschine ihr Schöpfungs- oder Zerstörungswerk vollbracht hatte. Wo aber war dann er? Konnte es ein vollkommenes oder auch nur besseres Universum ohne Massimo Altomonte geben? Und konnte die Welt, die ich jetzt sah, tatsächlich so etwas wie Vollkommenheit für sich beanspruchen? Das erschien mir unmöglich. Lieber wollte ich glauben, dass ich es war, der dieses leckgeschlagene Schiff gerettet hatte. Vielleicht würde es nur ein Aufschub sein, bis es irgendwann tatsächlich unterging, doch bis dahin war ich ihr Retter.
Dann kam eine kurze Nachricht vom Unfall am Europäischen Institut . Bei einer Explosion sei der amerikanische Wissenschaftler Dr. Kenneth White ums Leben gekommen. Erst einen Monat zuvor sei der Schweizer Nobelpreisträger Massimo Altomonte unter ähnlichen Umständen getötet worden. Institutsleitung und Behörden hätten eine sofortige Untersuchung angeordnet.
Mein Name war nicht gefallen. Warum auch? Die Öffentlichkeit würde niemals die Wahrheit erfahren. Altomonte für White auszugeben, war die einfachste Lösung. Die falschen Leichen hoben sich gegenseitig auf. Ich dachte an Montaigne, der jetzt beruhigt sterben oder in den wohlverdienten Ruhestand gehen konnte. Man würde der Form halber noch ein paar Wochen ermitteln und dann den Fall für immer zu den Akten legen.
Auf schwankenden Beinen ging ich zum Fenster und sah auf die beleuchtete Stra ße hinaus. Der Druck in meinem Kopf war stärker geworden. Ich hätte stolz sein sollen, auf das, was ich sah, auf diese Welt, dieses Universum, das ich gerettet hatte. Und doch hatte ich nur den bitteren Geschmack des Schlafes im Mund, die süßlichen Ausdünstungen meines Körpers in der Nase. Auch ich starb, so schien es. Hatte bereits damit begonnen, und doch würde es noch Jahre dauern, bis dieser Verfall zu einem Ende käme.
Bis dahin w ürde ich mich anziehen, hinunter gehen, etwas essen, nach Chloé suchen, das tun, was ich sonst jeden Tag getan hatte. Ich würde versuchen, mit dieser Nacht fertigzuwerden, mit dieser Nacht und den Tagen zuvor und auch den Jahren, die so lange zurücklagen.
Mein Blick fiel auf die Papierrolle, die neben der T ür stand. Auf dem Bett strich ich sie glatt und drehte die Nachttischlampe so, dass ihr Licht darauf fiel. Vor meinen
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