Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
Vom Netzwerk:
Tuch war leer.
    Lena ließ sich auf ihre Fersen sinken und dachte nach. Das verschwundene Messer besiegelte ihre Gewissheit. Sie kreidete Lionel den Vertrauensbruch nicht an. Es gehörte ihm ja eigentlich immer noch, denn sie war mit der Arbeit in der Werkstatt noch lange nicht fertig. Aber hätte er ihr nicht wenigstens von seinem Plan berichten können, Anstetter zu beseitigen? Niemals hätte sie dann Valentin in die Weinberge geführt. Zeit verging, in der sie einfach nur dasaß und ihre Hände betrachtete. Der Mond stand jetzt im Fenster und zeichnete eine blasse Spur auf den Holzfußboden.
    Angestrengt dachte sie nach und erinnerte sich an den Tod von Pater Ulrich. »Frère Mort«, hatte Lionel ihn genannt, der Bruder, der den Tod bedeutet. Warum eigentlich?
    »Es gibt tausend Leute, die einen Grund haben, ihn zu töten, aber nur dem einen, der keinen hatte, gelingt es.«
    Hatte Lionel den Dominikaner gekannt? Beide Morde waren saubere Arbeit gewesen, schnell, effektiv und gezielt. Das passte zu ihm. Was wusste sie eigentlich von Lionel, der sich selbst und seine Lebensgeschichte hinter tausend Masken verbarg? Konnte er beide Männer umgebracht haben, oder trug doch Prior Balduin die Schuld an Ulrichs Tod? Lenas Gedanken drehten sich im Kreis. Wer auch immer den ersten Mord begangen hatte, niemand würde je von ihr erfahren, dass Lionel für den zweiten verantwortlich war. Und trotzdem musste sie versuchen, Valentin zu entlasten. Es fragte sich nur, wie.
    Nach einer Weile schlich sich Lena wieder aus dem Haus. Als sie die Tür vorsichtig hinter sich ins Schloss zog, lag der Hof im vollen Licht des Mondes, der rund am Himmel stand und das Licht der Sterne aufsog. Auf der Mauer balancierte die Katze und maunzte sie an. Lena nahm keine Notiz von ihr und zog ihren Mantel eng um sich. Den geflochtenen Zopf versteckte sie unter der Kapuze. Auf ihrem Weg durch die Stadt hielt sie sich nahe an den Hauswänden und mied die Gruppen trunkener Handwerksburschen, denen sie von Zeit zu Zeit begegnete – genauso wie den Nachtwächter, der ihr sicher unbequeme Fragen gestellt hätte. Lionel ist fort, dachte sie bei jedem Schritt. Kummer biss in ihr Herz. Sie hätten nur eine Chance auf ein gemeinsames Leben, wenn sie ihm folgte. Doch was wäre dann mit der Werkstatt? Und wollte er überhaupt, dass sie ihn fand?
    Berthe und Hanna wohnten in einem kleinen Haus in der Nähe der östlichen Stadtmauer zur Miete, das einer Witwe gehörte. Lena schlich sich die Außentreppe hinauf und klopfte mit dem Türklopfer, der einem Löwenkopf glich. Das Geräusch zerriss die Stille in der schlafenden Stadt, aber ihr Herz pochte lauter. Es dauerte eine Weile, bis jemand kam und die Tür einen Spalt weit öffnete. Hinter der vorgelegten Kette erschien ein bekanntes Gesicht. Rosi! Lenas Knie knickten unter ihr weg, und die Freundin schaffte es gerade noch, die Kette zu entfernen und sie aufzufangen.
    »Ich hab’s schon gehört.« Die junge Frau zog Lena hoch, die spürte, dass sie sich keinen Moment länger beherrschen konnte. Tränen tropften auf ihre Schultern.
    »Ein Gutes hat es ja.« Rosi klopfte ihr den Rücken. »Den Anstetter bist du los.«
    Lena schüttelte den Kopf. »So zu sterben hat nicht einmal der verdient.«
    »Doch!«, sagte Rosi kalt. »So wie er dich behandelt hat.«
    »Aber sie haben wieder den Valentin festgenommen. Und mir glauben sie nicht, dass wir den Anstetter schon tot gefunden haben.«
    »Der Hardenberger glaubt, was er glauben will. Aber wir kriegen den Valentin schon wieder frei. Schließlich hat er die Franziskaner auf seiner Seite.«
    Lena schluchzte laut.
    »Komm einfach rein!« Rosi zog sie über die Schwelle. Innen war es überraschend gemütlich. Die kleine Wohnung hatte zwei Zimmer, eine Küche mit Kochstelle, einem Tisch vor der Ofenbank und ein Schlafzimmer, das sich die Frauen teilten.
    Zögernd blieb Lena auf der Schwelle stehen. Auf der Bettstatt lag Hanna und hielt das kleinste Neugeborene im Arm, das Lena je gesehen hatte. Berthe stand am Tisch und goss einen dampfenden Kräuteraufguss in eine angeschlagene Tasse.
    »Komm ruhig näher!«, sagte sie leise. »Wir haben es überstanden.«
    Lena trat ein. »Herzlichen Glückwunsch!«
    Hanna sah mitgenommen aus, nickte aber tapfer, während Berthe ihr den Becher an den Mund setzte. Das Kind erschien ihr fast so klein wie ein neugeborenes Katzenjunges und sah genauso unfertig und hilflos aus. Die Augen lagen wie kleine Schlitze in dem winzigen,

Weitere Kostenlose Bücher