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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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den Turm bringen zu lassen. Oh, Valentin! Wieder würde er für eine Tat büßen, die er nicht begangen hatte. Doch anders als bei Pater Ulrich wusste Lena diesmal, wer der Mörder war. Schwarzes Entsetzen hielt sie gefangen, seit sie den Toten hinter der Steinbank entdeckt hatte. Denn in seiner Brust steckte ihr kostbarer Dolch von Meister Christoph Messerschmied aus Augsburg. Lionel musste die Stadt so schnell wie möglich verlassen.
    Völlig außer Atem schaffte sie es unter den anzüglichen Pfiffen der Wächter gerade noch so durchs Stadttor. Knapp unterhalb der Kapellenbaustelle stoppte sie und hielt sich den schmerzenden Brustkorb. Die geprellten Rippen waren im Moment ihr geringstes Problem, ebenso das Seitenstechen und die Luft, die wie Feuer in ihrer Kehle brannte. Lionel! Sie konnte nicht mehr. Die chaotischen letzten Tage waren zu viel für sie gewesen. Dann muss es eben so gehen – ohne Kraft, dachte sie, biss die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg nach Hause, Schritt für Schritt.
    Als sie in den Hof trat, löste sich der Nebel, und der Mond trat hinter einer Wolke hervor. Flackernder Lichtschein ließ erkennen, dass in der Werkstatt noch gearbeitet wurde. Sie stieß die Tür auf, doch am Zeichentisch saß nur Konrad, der das Glasbild mit der Opferung Isaaks bemalte.
    »Wo ist Lionel?«
    Sein prüfender Blick traf sie. »Keine Ahnung. Er hat vor zwei Stunden die Stadt verlassen. Nachdem er von Renata zurückgekommen ist.«
    Lena packte ihn am Ärmel. »Mit beiden Pferden?«
    »Mit Étoile. Aber was ist mit dir? Du siehst völlig fertig aus.« Er schüttelte verwundert den Kopf.
    Tränen stürzten aus ihren Augen. »Ich, nein. Mir geht es gut!«
    Bevor er nachfragen konnte, verließ sie hastig die Werkstatt und rannte zum Haus. Aus der Küche drangen gedämpfte Stimmen, und das weiche Licht der Öllampe quoll unter der Tür hervor. Lena atmete tief durch und trat ein. Die Lehrlinge Titus und Hans, der Altgeselle Johann, Meister Heinrich, Martha und die kleine Sanna saßen am Tisch, erzählten sich gegenseitig von den Erlebnissen des Tages und lachten über die Späße der Buben und Sannas altkluge Fragen.
    »Ich bin da«, sagte sie. Es roch nach dickem, salzigem Brei mit Zwiebeln und Speck. Ihr Magen begann zu knurren, besonders, als sie sich vorstellte, dass Martha zum Nachtisch Zwetschgenkompott mit süßem Rahm servieren würde. Ihr Vater rutschte auf der Bank ein Stück zur Seite. »Komm und setz dich!«
    »Gleich.« Sie hatten anscheinend noch nicht von Anstetters Tod gehört. Von Lena würden sie es auch nicht erfahren.
    »Aber Mädel, du musst doch etwas essen!«, warf Martha ein. Doch sie schüttelte den Kopf, schloss leise die Tür und stieg ins Dachgeschoss hinauf. Wie eine Katze übersprang sie die drittletzte Stufe, die immer knarrte. Denn was sie vorhatte, ging niemanden etwas an. Lionel hatte die Konsequenzen aus seiner Tat gezogen und die Stadt verlassen. So würden sie zwar niemals heiraten können, aber er war zumindest in Sicherheit.
    Im Schein des Vollmonds sah ihr Zimmer so aus wie immer. Das Bett stand an der Wand, die Truhe mit ihren Kleidern neben der Tür. Der Tisch, den sie unter das Fenster gerückt hatte, war wieder zum Zeichentisch und zur Ablage ihrer Entwürfe geworden. Und dennoch hatte sich etwas verändert. Jemand musste hier gewesen sein, getrieben von der Absicht, den schlechtesten Mann in Schwaben auszuschalten. Doch so zu sterben hatte nicht einmal Marx Anstetter verdient. Sein starrer, toter Blick hatte sich hinter ihren Lidern eingegraben wie ein Holzschnitt, ein sinnloser Totentanz, der sie verfolgte, sobald sie die Augen schloss.
    Lena seufzte. Es hatte keinen Sinn, die endgültige Gewissheit noch länger aufzuschieben. Sie kniete sich vor das Bett, bückte sich, so tief sie konnte, und schob ihren Arm darunter. Da war es, das eckige Kästchen mit den Intarsienarbeiten, in dem sie ihre Schätze aufbewahrte. Täuschte sie sich, oder hatte es der Dieb leicht schräg an seinen Platz zurückgestellt? Egal. Sie zog es hervor, öffnete den Deckel und spürte dabei seltsam unbeteiligt, wie ihr die Tränen die Wangen herunterliefen. Malutensilien, Pigmente und weiche Dachshaarpinsel, die Perlen ihrer Mutter, ein kostbarer Psalter und die Rose, die Valentin ihr geschenkt hatte, als sie vierzehn war. Sie griff hinein, drückte die Rose beiseite, die prompt alle Blätter verlor, und tastete nach dem Dolch, den sie in einen blauen Seidenschal gewickelt hatte. Das

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