Die Himmelsmalerin
nickten.
Es stimmte, die Steinmetze hatten zu ihm gehalten, wie sie es immer taten, wenn einer von ihnen in Not geriet. Valentin war so gerührt, dass er schlucken musste, aber Fredi trat vor Eile von einem Bein aufs andere.
»Jetzt macht schon!«
Lenas Hand legte sich auf Valentins Arm. »Bald arbeitest du wieder für Meister Heinrich«, sagte sie leise. »Und jetzt gehen wir daran, deine Ehre wiederherzustellen.«
Er nickte abwesend.
Sie gingen durchs Mettinger Tor, wo der Stadtwächter sie misstrauisch beäugte, und zogen dann die Weinberge hinauf. Fredi legte noch einen Schritt zu, denn sie mussten sich nicht nur deshalb beeilen, weil Berthes Zeit knapp bemessen war, sondern auch weil ihnen das Tor sonst auf dem Rückweg vor der Nase zugemacht werden würde.
Umso höher sie kamen, desto dichter wurde der Nebel. Am Hang gerieten sie in eine dunkelgraue Nebelbank, die das herbstliche Gelb und Blutrot der Rebstöcke in sich einsog. Nässe legte sich pelzig auf Valentins Augenlider, tropfte seine Stirn herunter und in seinen Kragen.
»Ich kann fast nichts mehr erkennen«, flüsterte Lena.
Er nahm ihre eiskalten Finger und wärmte sie. »Gut, dass ihr die Lese gestern erledigt habt.«
»Zum Glück hatte ich meine Erntehelfer.«
Mühsam stiegen sie weiter hinauf. Sie waren fast auf der Kuppe angelangt, da, wo sich im Sommer die besten Lagen der Sonne entgegenstreckten und jetzt die Wolken wie ein Grabtuch über der Erde lagen. Fredi führte sie an die Wegkreuzung, von der aus es links ins Neckartal nach Württemberg ging, während der Pfad rechts nach Sulzgries auf der Höhe abzweigte.
An der Gabelung standen unterschiedlich hohe Steinbänke, auf denen die Weingärtner und ihre Frauen Rast machen und ihre Lasten absetzen konnten. Völlig aus der Puste setzte sich Lena auf eine davon und presste ihre Hand an den Brustkorb. Valentin hörte ihre schnellen, kurzen Atemzüge.
»Uff«, stöhnte sie mit kalkweißem Gesicht. Es war klar, dass sie nicht mehr weiterkonnte.
»Wie weit ist es denn noch?«, herrschte er Fredi an.
»Wir sind gleich da!«, rief der, rannte ein Stück voraus und verschwand, als habe der Nebel ihn in sein gewaltiges Maul gesogen.
Die Stille hüllte sie ein wie ein Leichentuch. Ein großer, schwarzer Rabe setzte sich einige Meter vor ihnen auf den Weg nach Württemberg und musterte sie aus schlauen Augen.
»Fredi?« Valentin lief bis zur Gabelung und sah sich nach allen Seiten um. Kein Fredi, nirgendwo! Zornig krächzend flog der Rabe davon.
»Wo ist der Saukerl?«, rief er. »Und wo ist die Hure?« Seine Stimme trug nicht weiter als ein paar Meter.
Lena wischte sich den Schweiß von der Stirn und stemmte sich hoch. »Weit kann es nicht sein. Den Rest schaffen wir auch all…«
Und dann schrie sie plötzlich los, gellend und so laut, dass Valentin das Blut in den Adern gefror.
Blitzschnell war er bei der Steinbank und sah, was Lena gesehen hatte. Bittere Galle stieg in seinen Mund, die er krampfhaft runterschluckte. Verdammt! Hinter der Bank lag Marx Anstetter auf der Seite, quasi um einen Pfosten gewickelt und rührte sich nicht. Mit einem Satz war Valentin bei ihm und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken. Es war zu spät. Leer starrten Anstetters Augen in den grauen Himmel, und ein schmaler Faden Blut zog sich aus dem Mundwinkel seine Wange herab. Links in seiner Brust steckte, umgeben von einem rubinroten Kranz aus Blut, ein Messer – genau da, wo sich das Herz befand und ein einziger Stich einen Mann sterben ließ. Überall war Blut, tränkte den kostbaren Mantel des Tübingers, vermischte sich mit dem Nieselregen und versickerte dickflüssig im Boden. Valentin putzte sich die Finger an seinem Kittel ab, wieder und wieder. Das Messer in Anstetters Brust war kostbar. Im Dämmerlicht hingen trübe Juwelen an einem kunstvoll gearbeiteten, schwarzen Knauf. Lena hatte aufgehört zu schreien und drückte sich die Faust vor den offenen Mund. Tränen liefen über ihre Wangen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte sie.
»Das lasst mal meine Sorge sein.« Die Stimme klang gelassen, fast freundlich, zerschnitt den Nebel mühelos, und Valentin kannte sie. Hemdsärmlig und zufrieden stand der Hardenberger mit seinen Männern auf dem Pfad in Richtung Stadt und schnitt ihnen den Rückweg ab. Der Stadtbüttel Hans Wollschläger hatte sich ihm mit seinen Esslinger Bewaffneten angeschlossen. Neben dem Recken Josef sah er richtig klein aus, fand Valentin.
»Lauf!«, schrie Lena wild.
Vor Schreck
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