Die Himmelsmalerin
Lionels Messer die Tatwaffe war. Traute sie ihm zu, dass er sie in den Weinberg bestellt hatte, um sie reinzureiten? Alles in ihr weigerte sich, das zu glauben. Aber was wusste sie wirklich über Lionel? Und da war immer noch das blutige Messer. Die schärfste Waffe im Neckartal war für einen gemeinen Mord eingesetzt worden. Lena seufzte schwer.
Kilian stand auf und machte sich an der Holztruhe in Valentins Zelle zu schaffen.
»Nicht gerade viel Auswahl.« Stirnrunzelnd sah er an seiner braunen Franziskanerkutte hinab.
»Du willst dich verkleiden?«
Er nickte verbissen, sein blasses Gesicht starr vor Entschlossenheit. »Wir sollten uns umhören. Mal schauen, ob Valentin Beinlinge und einen Kittel zum Wechseln hat, die mir passen. Und, Lena, darf ich dich bitten, mir von … draußen … eine Gugel zu besorgen.«
Sie nickte. Es war verständlich, dass er seinen Hals verbergen wollte. »Ich schaue mal, ob unser Titus eine hat.«
So schnell sie konnte, lief sie zum Haus in der Webergasse, lieh sich bei ihrem verblüfften Lehrburschen die gewünschte Kopfbedeckung und kehrte zurück zum Kloster. Kilian stand vor der Pforte und wartete dort auf sie. Seine Verwandlung war erstaunlich. Aus dem blasierten Novizen war ein Handwerksbursche mit waidblauem Kittel und geschnürten Beinlingen geworden, dem man nicht ansah, dass er vor seiner Entscheidung für den geistlichen Stand als Neffe des Bürgermeisters teures Tuch getragen hatte. Sprachlos starrte sie ihn an.
»Kleider machen Leute«, sagte er verlegen und stülpte die Gugel über den Kopf, die den Eindruck perfekt machte. Die lange Kapuze legte er um seinen Hals, so dass sie den verräterischen Bluterguss verbarg. »So dürfte mich niemand erkennen.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Jetzt suchen wir die kleine Ratte, die euch in den Weinberg gelockt hat.« Seine Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn.
Es war noch früh am Morgen. Zwischen den Häusern lagen tiefe Schatten, doch darüber wölbte sich hoch und blau der Himmel. In der Nacht hatte es gefroren, so dass die schlammigen Furchen in den Straßen erstarrt waren, Knochenfährten, in denen die Karrenräder der Bauern steckenblieben. Kilian und Lena machten sich gemeinsam ins Gewimmel rund um Kraut- und Fischmarkt auf, wo sich trotz der frühen Stunden die Leute rund um die gut gefüllten Stände drängten.
Kilians Augen glitten über das Schauspiel. »Die Stadt sieht anders aus.«
»Aber du warst doch noch letzte Woche hier.«
»Nicht Esslingen hat sich verändert.«
Lena sagte nichts. Wenn Berthes Anschuldigungen stimmten, hatte er die Hölle durchgemacht. Der Prior, der sein Vorbild, Mentor und Freund gewesen war, hatte ihn in Abgründe aus Schmerz und Schuld gestoßen, an die sie nicht einmal denken wollte.
»Du siehst alles mit neuen Augen«, sagte sie leise.
Kilian nickte, griff flüchtig nach ihrer Hand und ließ sie so schnell wieder los, als hätte er sich verbrannt. Schnell waren sie an der frisch bebauten Hofstatt angelangt, vor der die Krautbauern von den Fildern ihre Stände aufgebaut hatten.
»Kohl, gesund und lecker«, sagte ein Händler und deutete auf seinen Krautvorrat, der auf einem wackligen Schragentisch lag. »Füllt Euer Fass, junge Hausfrau, und versorgt Euren Gatten im Winter mit gesundem Kraut. Dann stellt sich der Nachwuchs ganz von alleine ein.«
Lena wurde gegen ihren Willen knallrot.
»Wir sind nicht hier, um Geschäfte zu machen, Gevatter«, sagte Kilian ungeduldig. »Wir suchen einen Jungen, der manchmal auf dem Markt aushilft. Er nennt sich Fredi.«
Der Mann kratzte sich am Kinn, auf dem eine Warze in Münzgröße wuchs, und nickte langsam. »Den Gauner kenne ich. Hilft hier und da beim Auf- und Abbau. Hat er Euch auch übers Ohr gehauen?«
»Nein, nein.« Kilian hob abwehrend die Hände. »Wir wollen ihn nur etwas fragen.«
»Dann schaut am besten beim Zieglerwirt vorbei. Da spült er um diese Zeit manchmal die Teller.«
Die brandneue Zieglerschenke öffnete sich mit ihrer Fassade einladend zum Krautmarkt. Das Erdgeschoss des neu erbauten Hauses bot Platz für alle Zecher und Weinnasen der Stadt. Recht gut essen konnte man hier auch. Schon jetzt lag ein leckerer Geruch nach Sauerkraut und gebratenem Fleisch in der Luft, der Lena das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Sie betraten die Schenke durch ein geräumiges Tor. An den gescheuerten Holztischen saßen Gruppen von Stadtbürgern, Händlern und Handwerkern, tranken Wein, besprachen ihre Geschäfte und
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