Die Himmelsmalerin
euch und euren König wieder nach unten drehen und die Stadt erneut zu Staub zerfallen.
Vor der brandneuen Stadtresidenz saß er ab und übergab sein Pferd einem der herbeieilenden Knappen. Ludwig weilte nicht in München, sonst hätte er sich nicht genähert. Aber er wollte auch gar nicht ins Schloss, sondern in die Lorenzikapelle, in der die Insignien des Reiches aufbewahrt wurden.
Er überquerte den Hof, in dem das Abendlicht schon lange Schatten warf. Als er in das Zwielicht der Kapelle trat, flackerten Kerzen im Luftzug. Ein Mönch, Zisterzienser aus Fürstenfeld, näherte sich ehrerbietig.
»Was ist Euer Begehr, Herr Ritter von Roteneck?« Seine Stimme war ein Wispern, das die heilige Stille kaum durchdrang.
»Ich will allein sein und beten«, sagte er, durchschritt den Mittelgang und beugte das Knie. Doch sein Blick galt nicht dem Kreuz und dem gekreuzigten Gottessohn, der ihm mit seinen Augen ins Herz blicken wollte.
Da lagen sie, die Krone, das Zepter, der Reichsapfel, die die Würde des Reiches repräsentierten. Sie wurden dem gewählten Monarchen bei der Krönung überreicht und verliehen ihm das Recht, in der ehrenvollen Reihe der deutschen Könige zu regieren. Ludwig gehörte keines der Kleinodien rechtmäßig. Ebenso wie den Thron hatte er sich die heiligen Gegenstände nur erschlichen.
Denn im Jahr 1314 hatte es nach dem Tode des Luxemburgers Heinrichs VII. eine Doppelkönigswahl gegeben. Am 19. Oktober war Friedrich von Habsburg zum König gewählt worden. Die Wittelsbachsche Partei hatte ihren Kandidaten Ludwig am 20. nachgeschoben, einen Tag nachdem Friedrich in Amt und Würden gesetzt worden war. Beide wurden am 25. Oktober gekrönt. Die Krönung Friedrichs hatte der Kölner Erzbischof in Bonn mit den Reichsinsignien vorgenommen. Sein Konkurrent war zwar in Aachen, am rechtmäßigen Ort, aber ohne die wichtigen Zeichen seiner Würde gekrönt worden. Ein Patt entstand, das durch den Umstand verschlimmert wurde, dass 1314 auch der Papstthron vakant gewesen war, so dass es niemanden gab, der einen der beiden Rivalen bestätigen konnte. So hatte sich die Frage, wer König war, auf dem Schlachtfeld entschieden, zugunsten Ludwigs. Erst später waren Krone, Zepter und Reichsapfel in seine Hände gefallen. Kein Wunder, dass er diese Dinge von den Mönchen seines Hausklosters wie seine Augäpfel bewachen ließ. Er ballte die Fäuste. Hier lag seine Chance. Denn die Insignien des Reiches würde Ludwig brauchen, um sich in Rom von wem auch immer zum Kaiser krönen zu lassen. Was er zweifellos vorhatte, auch wenn Papst Johannes in Avignon vor Wut schäumen würde. Oder vielleicht gerade deshalb.
Roteneck hob die Augen und betrachtete die kostbaren Gegenstände, auf denen das Königtum des Heiligen Römischen Reiches ruhte. Da war die Lanze, die Hauptmann Longinus Christus nach seinem Tod ins Herz gestoßen hatte, woraufhin Blut und Wasser getrennt geflossen waren und seinen Tod anzeigten. Ein Splitter aus dem Kreuz des Herrn bekräftigte ihren Anspruch auf Heiligkeit. Daneben lag das Zepter als Zeichen der Regentschaft und dort, schwer und mit einem Kreuz bekrönt, der Reichsapfel, das Sinnbild des Weltenkreises. Die Kleinodien waren so unglaublich kostbar, dass dem Ritter der Atem stockte. Sie erzählten von Ehre, Leid und Blut, von Jahrhunderten des Krieges und der Herrschaft der von Gott gewollten Könige und Kaiser, die Ludwig in den Staub zog. Doch dann sah er die Krone und hielt den Atem an. Sie war das Schönste und Würdevollste unter den Insignien des Reiches. Über und über mit Edelsteinen besetzt, fing sie die wenigen Lichtstrahlen in der dämmrigen Kapelle ein, als hätte sie allein die Macht dazu.
Die Krone, dachte er verzaubert. Sie würde dem Usurpator nicht in die Hände fallen. Und plötzlich wusste er, was er tun musste. Es waren Erkundigungen fällig, die ihm Klarheit über die Rolle des burgundischen Glasmalers gaben, dessen Manieren für einen Handwerker viel zu höfisch waren.
34
Die Schreibstube war von mildem Herbstlicht erfüllt. Er stand unter dem Fenster, die Sonne schien auf seine Tonsur, auf der die Haare in kurzen, dunklen Stoppeln nachwuchsen, und die Feder kratzte über das Pergament wie die vorsichtigen Schritte einer Maus über den Küchenboden.
»Kilian«, sagte Lena leise.
Unwillig hob er den Kopf, als könne er sich von den sauber gemalten Buchstaben auf der Fläche vor ihm nicht trennen. »Lena! Du bist’s!«
Der Bluterguss an seinem Hals war zu einem
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