Die Himmelsmalerin
tauschten den neuesten Klatsch aus. Lena atmete tief ein und aus. Die angesehene Schenke war ein anderes Pflaster als der Schwarze Eber. Hinter der Theke stand Bethe, die Schwiegertochter des Wirts, ein zierliches, blondes Mädchen mit Hasenzähnen, das Lena flüchtig vom Brunnen kannte, und nickte ihnen zu. »Magst du einen Becher Würzwein, Lena? Es ist ein kalter Tag!«
»Nein, danke, wir suchen nur jemanden.«
Trotzdem drückte Bethe sowohl Kilian als auch ihr einen Becher heißen, gewürzten Wein in die Hände. Lena bewunderte ihren Geschäftssinn. So band man Kunden an sich und sein Wirtshaus.
Der Zieglerwirt, der gerade Wacholderbier aus einem Fass gezapft hatte, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und kam auf sie zu, dünn und staksig wie ein Reiher auf einer der Neckarinseln. Sein Gesicht mit der schnabelförmigen Nase passte zu dem vogelartigen Gesamteindruck. »Grüß Euch Gott, Jungfer Lena.« Er reckte den Kopf auf dem langen Hals vor und musterte ihren Begleiter so lange, bis ihm ein Licht aufging. »Bruder Kilian!«, sagte er verwundert.
»Herr Ziegler«, begann Kilian, der sich unter seiner Kugel purpurrot verfärbt hatte. »Wir haben etwas mit dem Fredi zu bereden. Auf dem Markt sagte man uns, dass wir ihn bei Euch finden.«
»Nicht so förmlich, Bruder Kilian. Hinten sitzt Euer Onkel und trinkt einen Wein mit Gästen aus Reutlingen. Setzt Euch doch dazu. Ich spendiere eine Runde aufs Haus.«
Tatsächlich, in der Ecke saß eine Gruppe gutgekleideter Weinhändler und unterhielt sich angeregt mit Bürgermeister Kirchhof, über dessen Bauch sich die Bürgermeisterkette spannte.
»Nein, nein!« Kilians Hände wanderten zuerst an seinen Hals und dann abwehrend in die Luft. Lena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, nippte am heißen Würzwein und verbrannte sich fast den Mund. Was wohl sein standesbewusster Onkel zu seiner Aufmachung sagen würde? Was würde er denken, wenn ihm klarwurde, dass Kilian seine Kutte abgelegt hatte?
»Fredi sucht Ihr.« Der Wirt sah sich suchend um. »Wo steckt der Bengel nur wieder?«
»Kommt mit!« Bethe bedeutete ihnen, ihr zu folgen, bis sie in einem kleinen Innenhof standen, um den sich die Hauswände in erstickender Enge gen Himmel schoben. Die Bebauung der Hofstatt war so neu, dass sich an manchen Häusern noch die Gerüste der Bauleute erhoben. Doch der Hof war außer einem seifigen Eimer und einem Stapel schmutziger Teller leer. Das Schankmädchen hob bedauernd die Hände. »Eigentlich sollt’ er hier spülen.«
»Dieser kleine Halunke scheint immer dann zu verschwinden, wenn man ihn am dringendsten braucht«, sagte Kilian.
Gemeinsam traten sie auf die Gasse hinaus, die inzwischen in der Sonne glänzte. Der silbrig gefrorene Boden taute zu dunkelbraunem Matsch.
Frustriert trat Kilian einen Stein beiseite. »Haben wir noch irgendeinen Anhaltspunkt?«
Lena zuckte die Schultern. »Wir suchen alle Märkte und die Handelsstraße ab, so lange, bis wir ihn haben.«
Die Sonne war höher gestiegen und beleuchtete das Treiben auf den Straßen. Sie überquerten den Fischmarkt und standen plötzlich an der Abzweigung der Handelsstraße, auf der sich der Verkehr drängte. Sehnsüchtig schaute Lena einem Ochsenfuhrwerk zu, auf dem Stoffballen lagen, die ihr Besitzer für den Transport in wasserdichte Tierhäute genäht hatte. Auf dem Kutschbock saß ein farbenprächtig gekleideter Sarazene mit roter Kappe und einem Ring im Ohr und neigte den Kopf. Lena grüßte zurück.
Kilian lachte leise. »Ein Seidenhändler auf dem Weg nach Speyer. Putzsucht! Dein Burgunder ist sicher nicht ohne Vermögen. Wenn ihr erst verheiratet seid, wirst du gewiss nicht darben müssen.«
»Nein«, sagte sie. »Es ist etwas ganz anderes. Immer, wenn ich auf der Handelsstraße stehe, frage ich mich, wie es wäre, die Stadt zu verlassen. Richtig zu verlassen, meine ich, nicht nur bis Sulzgries.«
Sie seufzte und wandte sich einer Hökerin zu, die Nadeln und Nähzubehör anbot. Etwas blaues Seidengarn zum Flicken ihres guten Überkleids musste trotz der leeren Haushaltskasse wohl noch drin sein. Sie suchte den richtigen Faden aus und bezahlte mit einigen kleinen Münzen aus ihrer Geldkatze.
Kilian schlenderte zum Rathaus hinüber, wo sich ein Menschenauflauf gebildet hatte. Lena folgte ihm und stellte sich hinter die dicht gedrängte Masse, deren Spott dem Pranger an der Treppe galt. Zwei Frauen standen da, aneinandergefesselt durch die doppelte Halsgeige, mit der die
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