Die Himmelsmalerin
gelblich grünen Streifen verblasst. Mit den Narben auf seiner Seele sah es sicher anders aus.
Sie trat einen Schritt näher, wusste nicht recht, wie sie nach dem, was vorgefallen war, mit ihm reden sollte. »Ich konnte mich erst heute loseisen. In der Werkstatt war die Hölle los. Aber heute brennen sie einen Haufen Scheiben und brauchen mich nicht unbedingt.«
»Schon gut!« Kilian raffte die eng beschriebenen Blätter der Kopie zusammen und legte sie mit der kostbaren Vorlage auf dem Schreibpult von Bruder Thomas ab.
Es war ein blauer Herbstmorgen zwei Wochen nach dem Erntedankfest. Die stillen Korridore hallten von ihren Schritten wider. Staubteilchen tanzten im Sonnenlicht, das schräg durch die Fensteröffnungen fiel. Kilian führte Lena in Valentins Zelle, wo sie sich zögernd auf seiner schmalen Pritsche niederließ, und setzte sich selbst auf den Schemel an dem einfachen Holztisch.
»Wie ist es dir gegangen?«, fragte er.
Ich bin am Ende, dachte sie, aufgebraucht, verdunstet wie eine Pfütze in der Sonne. Sie zuckte die Schultern.
»Lionel ist fort.«
Zwei Wochen hatte er sich nicht gemeldet, und das, obwohl das große Chorfenster der Franziskanerkirche auf seine Fertigstellung wartete. Weil der Besuch des Königs unweigerlich näher rückte, mussten sie wohl oder übel ohne den Meister weiterarbeiten. Sogar der Mord an Marx Anstetter verlor unter dem Zeitdruck an Priorität. Vielleicht war das ganz gut so, denn so konnten sie weder dem Entsetzen noch der unterschwelligen Erleichterung, die die Hausgemeinschaft bei Anstetters Tod ergriffen hatte, Raum geben. Die Aufsicht und die Planung des Auftrags hatte wieder ihr Vater übernommen, Konrad war für die Ausführung zuständig und sie selbst für alle einfacheren Malereien und Hintergründe. Nur das Fenster der Königin von Saba gestaltete sie selbständig, wie Lionel es ihr versprochen hatte.
»Er kommt sicher wieder zurück«, tröstete Kilian sie.
Lena schüttelte hartnäckig den Kopf. »Er kann nicht. Aber lass uns lieber von Valentin reden. Wie geht es ihm?«
»Den Umständen entsprechend gut. Bruder Thomas hat seinen Arm gerichtet und einige Münzen dafür springen lassen, dass sein Kerker etwas besser ausgestattet wird und sie ihn anständig verpflegen. Aber der Rat der Stadt drängt auf seinen Prozess.«
»Oh, nein!« Lenas Herz überschlug sich. Mit dem Rocksaum wischte sie sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel. »Diesmal habe ich ihn wirklich in Schwierigkeiten gebracht.« Sie schnäuzte sich geräuschvoll.
Plötzlich lag eine schmale, braune Hand auf ihrer. »Weine nicht!«, sagte Kilian. »Lass uns lieber gemeinsam nachdenken, was genau an dem Nachmittag geschehen ist, als die Hure dich zum Treffpunkt bestellt hat. Vielleicht ist ja alles ganz anders, als du denkst.«
Lena setzte sich aufrecht und sammelte ihre Gedanken. Der ganze Vorfall steckte so voller Ungereimtheiten, dass sie ihn kaum in einen sinnvollen Zusammenhang bringen konnte.
»Fredi, dieser rotzfreche Gassenjunge, du weißt schon, hat uns in den Weinberg gelotst. Aber Berthe war nicht am Treffpunkt, und das konnte sie auch gar nicht.«
»Warum?«
»Weil ihre Freundin Hanna ein Kind bekommen hat. Über zwölf Stunden hat Berthe ihr beigestanden.«
Kilian fuhr sich nachdenklich durch seine kurzen Locken. »Du meinst, sie war verhindert?«
»Ja. Ich habe sie nämlich besucht und dabei erfahren …« Lena schlug sich die Hand vor den Mund.
»Was?«, fragte er misstrauisch.
»Ach nichts …« Lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als Kilian mit ihrem Wissen um seine Beziehung zu Prior Balduin zu konfrontieren.
»Vielleicht war es ja gar nicht Berthe, die euch in den Weinberg bestellt hat.«
Lena dachte nach. »Fredi sagte das. Aber eigentlich …«
»… könnte der Bengel auch lügen, was ganz gut zu ihm passen würde«, schloss er und nickte. »Weißt du, ich habe hier jede Menge Zeit zum Nachdenken und frage mich schon dauernd, wem daran gelegen sein könnte, dass ihr beide die Leiche findet und euch der Hardenberger auch noch folgt.«
Lenas Augen wurden groß. »Dem wirklichen Mörder natürlich.«
»Wenn wir davon ausgehen, dass nicht Valentin deinen Bräutigam vom Leben zum Tode befördert hat, muss es jemanden geben, der versucht, die Schuld für den Mord an Pater Ulrich und an Marx Anstetter auf ihn abzuwälzen.«
»Hmm«, machte Lena und biss sich auf die Lippe. In ihr arbeitete es. Niemand, auch Kilian nicht, durfte je erfahren, dass
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