Die Himmelsmalerin
verschüchtert.
»Tja«, Kilian schaute sie mit blutunterlaufenen Augen an. »Das weiß ich auch nicht, aber dass er Lena hat, gibt ihm ein wirksames Druckmittel in die Hand.«
»Er wird uns nicht freilassen?« Das war eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung. Natürlich nicht, auch wenn Lionel alles erfüllte, was sich der Rotenecker von ihm wünschte. Sie wussten einfach zu viel.
»Ich fürchte nein«, sagte Kilian. »Absumam, absumes, absumetis.« Seine Augen verdrehten sich, und er fiel langsam zur Seite.
43
Wie ein Spielmann griff der Wind in die feuerfarbe- nen Bäume, trieb ihr Laub davon und ließ sie wie schwarze Skelette vor dem Himmel stehen. Er jagte die Blätter durch die stillen Gassen der Stadt und ließ sie nach seiner Pfeife tanzen. Gelb, braun, rot wie Flugrost, sie waren eine bunte Gruppe Gaukler, doch darunter lag der Geruch nach Tod. Der Wind wurde immer stärker, wuchs sich zum Herbststurm aus, wehte den Frauen die Röcke hoch und presste den Männern die Ohren an den Kopf. Wer zu Hause bleiben konnte, der schloss die Läden und heizte den Ofen an, denn der Tag und vor allem die Nacht vor Allerheiligen waren nicht ungefährlich. Man erzählte sich, dass dann die Grenze zwischen den Welten dünn war. Die Toten kehrten zurück und suchten die Lebenden heim. Bevor Martha mit Sanna in die Kirche ging, stellte sie für die Geister eine Schale mit Griesbrei vor die Tür, an der die Katze neugierig schnupperte. Doch statt ihre Schnauze hineinzustecken, fauchte sie finster, zog den Schwanz ein und machte sich davon.
Valentin stand unschlüssig im Hof der Familie Luginsland und zog sich die Gugel tiefer in die Stirn. Niemand durfte ihn erkennen. Die letzten zwei Wochen waren hart gewesen. Es war Renata gelungen, den fremden Ritter abzuwimmeln, doch Valentin weigerte sich, ins Klosterasyl zurückzukehren, obwohl Bruder Thomas ihn fast am Kragen dorthin gezerrt hätte. Er musste Lena finden. Doch die Apothekerin hatte ihn davor gewarnt, ihr Haus zu verlassen. Hordenweise streiften die Gefolgsleute des fremden Ritters durch die Stadt und hörten sich nach einem entlaufenen Mörder um. Und der Hardenberger fand es wieder einmal sehr verdächtig, dass der Verdächtige sich nicht im Asyl eingefunden hatte. Tagelang hatte Valentin im Tiefkeller der Apotheke ausgeharrt und über die seltsamen Umstände nachgedacht, die ihn erneut ins Unglück gestürzt hatten. So wie die Fliegen am Honigtopf klebten, hatte er das Talent, das Pech auf sich zu ziehen. Der Abend, an dem der Fremde Kilian gefangen hatte, erschien ihm im Nachhinein wie ein Griff in ein Schlangennest. Und Lena war noch immer verschwunden. Müde fragte er sich, wie Meister Luginsland das verkraftete. Aber heute ging es um den Burgunder. Was hatte der mit dem fremden Ritter zu schaffen?
Mattes Licht drang aus der Werkstatt. Valentin atmete tief durch und drückte die Tür auf. Lionel saß am Tisch und schnitt beim Licht einer Öllampe mit dem heißen Kröselmesser in eine rote Glasplatte. Der Freiburger Glasmaler war nicht im Raum. Zum Glück, dachte Valentin. Das feuerrote Glasstück brach mit einem hässlichen Knacksen und landete sicher in Lionels Hand.
»Was führt dich zu mir?«, fragte er, ohne aufzuschauen.
»Ich …« Valentin druckste herum und zog die Gugel vom Kopf. Die Werkstatt wurde durch ein Becken mit glühenden Kohlen geheizt, das ihn schwitzen ließ. Der Burgunder störte sich nicht an Valentins Gegenwart, sondern schnitt ein goldgelbes Glasstück aus, wobei das Eisen so sicher der vorgezeichneten Linie folgte, als sei es ein Silberstift. Er konnte nicht anders, er musste ihn für seine handwerklichen Fähigkeiten bewundern. Aber deshalb war er nicht gekommen.
»Wo ist Konrad?«, fragte er leise.
»Er überwacht den zweiten Brand für eine ganze Menge Scheiben.« Während Valentin noch immer neben ihm stand und seine Gugel in der Hand drehte, begann Lionel, die Fragmente auf einer durchsichtigen Glasscheibe anzuordnen und mit Wachs festzukleben,
»Pass auf! Ich habe nicht besonders viel Zeit. Wir sind im Verzug, und der Besuch des Königs nähert sich mit Riesenschritten. Was willst du also von mir?« Lionel musterte ihn, und Valentin sah, was ihn die letzten Wochen gekostet hatten. Sein Gesicht war grau und eingefallen, und die Gelassenheit, mit der er arbeitete und sprach, wirkte gespielt.
»Ich suche Lena«, sagte er leise.
Lionel lachte bitter. »Ich auch.«
»Aber warum bist du dann hier?«
Der Burgunder
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