Die Himmelsmalerin
sich einen Moment lang vor ihren Augen drehten. Wenn Roteneck fort war, ergab sich vielleicht schon bald eine Gelegenheit zur Flucht. Der Wächter entzündete mit seinem Kienspan ein Öllicht, schloss die Tür zum Verschlag auf und beförderte den Gefangenen hinein. Er fiel auf die Knie, dann auf die Seite und blieb unbeweglich liegen, während sich die beiden Männer langsam entfernten. »Wenn du mich fragst, Erhard«, sagte der, den der Wächter Marquard genannt hatte. »Der macht es sowieso nicht mehr lang. Mein Messer hat ihn außer Gefecht gesetzt.«
»Du bist wirklich ein Könner in deinem Fach! Fast so gut wie der Roteneck.« Der Wächter klopfte dem anderen rasselnd aufs Kettenhemd und folgte ihm in den Keller nebenan. Vielleicht würde er mit ihm in das verlassene Haus hinaufsteigen und sich einen heißen Wein genehmigen, dachte Lena hoffnungsvoll. Mit Hilfe des Öllichts konnte sie in Ruhe nachschauen, wer sich unter der Kapuze verbarg. Sie kroch vorsichtig heran und öffnete mit ihren klammen Fingern den Knoten, der den Sack verschloss.
»Erst die Hände!«, sagte eine Stimme ungehalten, die ihr vage bekannt vorkam. Plötzlich hatte sie es sehr eilig. »Loisl! Mach du!«
Während die Magd die Fesseln um seine Handgelenke löste, zog ihm Lena den Sack vom Kopf.
»Kilian«, sagte sie fassungslos. Als er sich aufrichtete, sah sie, dass sein Gesicht aschfahl war und seine Augen fiebrig glänzten.
Sein Blick glitt über Lena und Loisl hinweg, die ihn erstaunt anstarrte, und erkundete dann den verlassenen Keller. »Hier seid ihr!«
»Wer ist das?«, flüsterte Loisl.
»Das ist mein Freund Kilian«, erklärte Lena. »Ehemals Novize bei den Dominikanern.« Hoffnung erwachte in ihr. Wenn Kilian Bescheid über den Boten wusste, waren vielleicht auch ihre anderen Freunde nicht fern. Aber …
»Was ist das?« Der schwarze Mantel glänzte feucht und dunkel.
»Blut wahrscheinlich«, sagte Kilian gleichmütig.
Unwillkürlich griff Lena zu und strich mit der Hand über die feuchte Stelle auf seinem Mantel, die fast bis zu seinen Knien ging. Als sie die Hand zurückzog, erkannte sie rotbraune Schlieren. Es roch wie am Schlachttag in Marthas Küche. »Es ist so viel«, flüsterte sie.
»Zu viel.« Kilian setzte sich zurecht und drückte die Hand gegen seinen Bauch.
»Was ist geschehen?«
»Kaum hatte ich begriffen, dass nicht Balduin der Mörder ist«, Kilian lächelte ein bitteres Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, »war es schon zu spät. Wie konnte ich nur so lange so dumm sein? Valentin und ich sind dem fremden Ritter begegnet, als ich ihn zu den Franziskanern zurückbringen wollte. Zufällig.« Schnell fasste er die Hintergründe zusammen. »Und er hat nicht gefackelt, wie du anscheinend auch zu spüren gekriegt hast.« Sein Blick glitt zu Loisl, deren linkes Auge blauviolett schillerte. »Aber Valentin konnte ihm dank Lionels Hilfe entkommen.«
Lena setzte sich zurück. »Lionel! Er ist wieder zurück?«
»Er sah jedenfalls höchst echt aus.« Kilian verzog sein Gesicht vor Schmerz.
»Du musst etwas trinken.« Er ließ sich gefallen, dass Lena ihm den Krug an die Lippen setzte.
»Aber warum hat er sich mit dem Roteneck getroffen?«
»So heißt der? War das nicht der Bote des Königs? Eine verarmte bayrische Ritterfamilie, der sich König Ludwig eng verbunden fühlt …« Er schnappte nach Luft. »Und Lionel – es schien, als habe er mit dem Ritter ein Hühnchen zu rupfen.«
Lena setzte sich zurück und brach von dem Kanten Brot drei Stücke ab. Wärme durchströmte sie. Lionel war zurückgekommen!
»Esst!«, sagte sie. »Wir müssen bei Kräften bleiben. Wenn Lionel Bescheid weiß, kommt er uns holen.«
Kilian schüttete den Kopf. »So einfach ist das nicht, Lena! Er weiß sicher nicht, wo wir stecken.«
»Aber …«
»Nun, denk mal nach. Warum hat der Rotenecker dich gefangen gesetzt?«
Die Hoffnung in Lena fiel in sich zusammen wie ein ausgebranntes Herdfeuer. »Weil ich genau wie Loisl weiß, dass er der Mörder von Pater Ulrich und Marx Anstetter ist.«
»Und sein Gefolgsmann Marquard hat Fredi auf dem Gewissen.«
»Was?« Lena verschlug es vor Schreck die Sprache. Loisl saß mit kalkweißem Gesicht an der Wand, wenn man von ihrem blauen Auge absah.
»Heute Morgen hat man ihn tot im Hof der Zieglerschenke gefunden. Aber der Grund, warum der Rotenecker Lionel da mit reingezogen hat, ist, dass er für irgendetwas seine Hilfe braucht.«
»Aber für was?« fragte Loisl
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