Die Himmelsmalerin
setzte sich, zog sein Schwert aus der Scheide und legte es quer vor sich auf den Tisch. Es war um einiges größer als Lionels, der sich plötzlich ausmalte, wie es wäre, aufzustehen und dem Ritter mit einem einzigen Streich den Kopf von den Schultern zu schlagen. Er hörte schon, wie er auf den Boden polterte. Mühsam kämpfte er um seine Fassung. Doch es kam noch schlimmer. »Ihr hängt an der Kleinen, nicht wahr? Aber wollt Ihr wirklich gebrauchte Ware zurücknehmen? Sie war köstlich, vor allem, weil sie nicht wollte.« Roteneck legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Mühsam fasste sich Lionel, atmete tief durch, gewann wieder Boden unter seinen Füßen. Er würde Roteneck töten, aber nicht jetzt, noch nicht.
»Seid vorsichtig, mein Freund. Wenn Ihr sie lebend wiedersehen wollt, solltet Ihr Euch beherrschen.« Beiläufig streckte der Verräter die Hand aus und legte einen Finger mitten in die Kerze. »Auch ich liebe die Frauen, den Wein, das Feuer und die Herausforderung.« Er zog die Hand zurück und pustete auf die Brandblase. »Aber mehr noch liebe ich meinen Auftrag.«
In diesem Moment ging die Tür auf. Rotenecks Gefolgsmann Marquard, der so schnell mit dem Messer umging, zog den Novizen hinter sich her und stieß ihn in den Raum, wo er stöhnend zu Boden ging. Lionel stand auf, kniete sich neben Kilian und legte ihm die Hand auf die Stirn.
»Ich bin’s«, sagte er.
Der Junge öffnete seine trüben, blutunterlaufenen Augen und brachte ein schwaches Nicken zustande.
»Kommt schon«, sagte Roteneck. »Lasst ihn in Ruhe!«
Lionel ließ sich nicht beirren, sondern zog vorsichtig den Mantel aus edlem Wolltuch an die Seite, der dunkel und schwer von Blut war. Auch das schwarze Übergewand darunter war blutdurchtränkt. Er schob es hoch, entfernte das Hemd, auf dem ein rosenroter Fleck prangte und betrachtete die Schnittwunde unterhalb des Rippenbogens. Sie war so breit, wie sein kleiner Finger lang war und hatte inzwischen fast aufgehört zu bluten. Stirnrunzelnd versuchte er abzuschätzen, ob der Stich innere Organe getroffen haben konnte und wie groß die Überlebenschancen des Jungen waren.
»Schaff ihn fort!«, sagte Roteneck gelangweilt, und Marquard versuchte, Kilian gewaltsam auf die Füße zu ziehen.
»Halt!«, donnerte Lionel. Er nahm keine Notiz von den beiden Männern, die ihn verblüfft anstarrten, sondern riss in aller Seelenruhe einen Streifen von Kilians Hemd ab, schüttete reichlich Wein über die Stichwunde, hob vorsichtig seinen Oberkörper und legte ihm einen provisorischen Verband an. Dann half er ihm auf die Füße.
»Lauf am besten selber!«, sagte er. Kilian nickte und biss sich auf die Lippen. Er war fahl und grau im Gesicht, aber er schaffte es, hocherhobenen Hauptes hinauszugehen.
»Wohin lasst Ihr ihn bringen?«
»Das würdet Ihr wohl gerne wissen.« Roteneck lachte leise und füllte erneut seinen Becher.
»Das muss sich ein Arzt anschauen.«
»Ihr meint doch nicht Euren Bruder Thomas, diesen unbelehrbaren Spiritualen. Ihr müsst verstehen, dass ich Euch diese Freude nicht machen kann. Und so ist es gut möglich, dass er in seinem Versteck an Wundbrand krepiert. Vielleicht hat Marquard aber auch seinen Darm getroffen. Ihr wisst, was das bedeutet?«
Lionel ballte die Fäuste und spürte, wie seine Nägel ihm blutige Furchen in die Handfläche ritzten. An einem durchlöcherten Darm starb man elend und unter furchtbaren Schmerzen.
»Aber vielleicht hat er ja Glück, und mein Plan lässt sich schneller durchführen als erwartet. Dann gebe ich ihn Euch zusammen mit den beiden Mädchen zurück. Oder halt, vielleicht behalte ich eine davon für mein Privatvergnügen.« Die schwarzen Augen blitzten vor Schadenfreude.
Lionel kämpfte um seine Fassung. Er musste sich zusammenreißen, durfte die Dunkelheit, die ihn wie eine schwarze Woge überrollen wollte, nicht die Überhand gewinnen lassen. Er hob sein Glas und trank es in einem Zug leer. Ein hitziges Gefühl breitete sich in seinem Inneren aus, das gleichzeitig Ausdruck des Zorns war und ihn wie eine Decke einhüllte.
»Ihr wollt den König töten?«
»Welchen König?« Der Verräter schüttelte tadelnd den Kopf. »Wollt Ihr den Mann auf dem Thron wirklich König nennen, obwohl ihm Papst Johannes diese Würde verweigert? Er ist nichts als ein Usurpator.«
»Ludwig wird bald die Kaiserkrone tragen.«
»Ach, wirklich? Ich sage Euch, Gott bestimmt, wer die Krone des Reiches trägt. Ludwig aber verstößt mit
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