Die Himmelsmalerin
von der Brust geben ließ, begann Prior Johannes zu sprechen.
»Nun«, sagte er. »Wir haben uns versammelt, um die Neuverglasung des Chorfensters in unserer Kirche zu besprechen. Zunächst einmal war unser Meister Lionel Jourdain sicher überrascht.«
Der Burgunder beugte sich vor und legte die Fingerspitzen aneinander. »Das könnt ihr laut sagen.« Er lachte leise und schüttelte den Kopf. »Schon der erste Blick hat ergeben, dass ich die einzelnen Fenster fast quadratisch anlegen muss.«
Meister Heinrich Luginsland nickte.
»Nichts, was Euch vor besondere Schwierigkeiten stellen würde, vermute ich«, sagte der Oberste der Franziskaner.
»Nein, aber es ist neu für mich«, gab der Glasmaler zu. »Doch es ergeben sich durch das andere Format auch neue Möglichkeiten. Realistische Handlungsräume.«
»Pah«, schnaubte der Tübinger.
»Vergesst nur die Statik nicht«, warf Meister Heinrich Parler ein.
Lena aber spitzte die Ohren und nahm sich vor, ihren Vater nachher zu den besonderen Bedingungen der Franziskanerkirche auszufragen.
Prior Johannes deutete auf seinen Mitbruder, der zu seiner Rechten saß und sich noch nicht am Gespräch beteiligt hatte. »Und ich habe den klügsten Theologen unseres Konvents gleich mitgebracht, dem ich die Aufgabe übertragen habe, das Programm für das Chorfenster zu entwickeln. Bruder Thomas von Mühlberg.«
Überrascht hob Lena die Augen. Das also war laut Renata der beste Arzt in Esslingen! Doch der Mönch mit dem grau gestreiften Bart schaute so finster, dass sie ihre Idee, ihn am Ende des Abends wegen ihrem Vater um Rat zu fragen, sofort wieder verwarf.
»Ich kann mich dieser Aufgabe nicht entziehen, obwohl ich finde, dass es die ornamentale Verglasung, die wir haben, sehr wohl auch getan hätte«, brummte der Franziskaner.
»Ach, Ihr gehört wohl zu den Spiritualen«, warf der Prior der Dominikaner ein. Kilian schaute neugierig auf, und sogar Valentin rückte näher an den Tisch heran.
»Schhh, mein Freund Balduin«, sagte Johannes. »Das wollen wir hier nicht zu laut sagen. Es ist nicht ungefährlich, einen der Unseren heutzutage so zu bezeichnen.«
Balduin schnaubte empört.
»Nun, zu meiner Meinung stehe ich.« Thomas von Mühlberg schaute herausfordernd in die Runde. »Auch unser Herr Jesus hatte keinen Ort, an dem er sein Haupt zur Ruhe betten konnte. Die Kirche und ihr Oberhaupt, das in Avignon ein gutes Leben führt, schlemmt und prasst und mischt sich in die Politik ein. Stattdessen sollten sich die Diener Gottes fragen, ob es sich ziemt, Reichtümer anzuhäufen. In dieser Lage wäre, wie ich finde, ein Zeichen von uns angemessen gewesen.«
Balduin schüttelte den Kopf. »Franziskaner! Ihr wart doch eine ganze Weile fort, Bruder Thomas!« Sein Blick streifte den Arzt, der ihn mit blitzenden Augen anfunkelte. »Wart Ihr etwa einer der Unsäglichen, die den Konflikt um die Armut in König Ludwigs Sachsenhausener Streitschrift mit eingebracht haben? Habt Ihr den von Gott eingesetzten Oberhirten der Kirche mit ›Johannes, der sich Papst nennt‹ angeredet und ihn als Ketzer beschimpft?«
Pater von Mühlberg öffnete den Mund. Sein blasses Gesicht war flammend rot geworden.
»Vorsicht«, mischte sich der Burgunder ein. »Redet Euch lieber nicht um Kopf und Kragen, Bruder Thomas.«
Prior Johannes lehnte sich zurück, faltete die Hände über seinem Bauch und ließ seine Daumen kreisen. »Mein lieber Balduin, du weißt doch, dass der König voraussichtlich bei uns Quartier nimmt.«
»Ein König, der exkommuniziert ist und das Interdikt auf alle seine Länder gebracht hat«, warf der Dominikaner bissig ein.
Neugierig schaute Lena von einem zum anderen. Jahrelang hatte sich Esslingen im Streit der beiden Anwärter auf den Königsthron, Ludwig von Bayern und Friedrich von Habsburg, auf die Seite des Habsburgers gestellt, doch kaum zeigte sich, dass der Bayer die besseren Karten hatte, hing die Stadt ihr Fähnchen nach dem Wind und wechselte den Favoriten. Und das, obwohl man vor einigen Jahrzehnten noch fest auf die Habsburger und König Rudolf vertraut hatte, der Esslingen im Streit mit dem Württemberger wie eine Festung ummauert hatte. König Ludwig hatte seine Position mit Feuer und Schwert erkämpft. Doch kaum war er etabliert, schaffte er es, sich so gründlich mit dem Papst zu überwerfen, dass dieser ihn aus der Kirche ausgeschlossen hatte und seine Untertanen gleich mit. Nicht, dass diese das groß stören würde …
»Wenn der König wüsste, was
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