Die Himmelsmalerin
Zopf zusammengefasst. Kurz blieben seine blauen Augen an Lena hängen, dann schob er sich linkisch neben seinen Meister, als würde er sie nicht kennen. Mistkerle, alle miteinander, dachte Lena bei sich.
»Nun lasst uns endlich mit der Mahlzeit beginnen«, schlug Meister Heinrich Luginsland vor.
»Welch blendende Idee.« Hungrig beäugte der Oberste der Franziskaner den Kapaun und störte sich nicht daran, dass ihn die Dominikaner missbilligend musterten. Lionel Jourdain stand auf und zerlegte den Vogel so fachmännisch, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Zielgerichtet fuhr sein Messer zwischen Flügel und Gelenke und löste mundgerechte Stücke für alle Esser aus, die er den Gästen auf die Teller legte. Lena hob die Augenbrauen. Eigentlich wäre das die Aufgabe ihres Vaters gewesen, aber vielleicht hätte der sich dabei ja in die Finger gesäbelt, seiner schlechten Augen wegen. Sie fragte sich nur, woher der Fremde das wusste.
»Ihr macht einen guten Mundschenk, Burgunder. Habt Ihr das an einem Hof geübt? Und vielleicht noch anderes?« Marx Anstetter winkte Lena zu sich heran und hob den Becher. Zähneknirschend füllte sie ihn ein zweites Mal.
Der Burgunder zuckte die Achseln. »Man tut, was man kann.«
Während die Männer in der nächsten halben Stunde den Großteil des Kapauns vertilgten, zerbröckelte Lena missmutig eine Scheibe Brot und steckte sich die Stückchen in den Mund. Ihr Magen wollte mehr und knurrte vernehmlich.
»Setzt Euch doch und esst mit uns, Madeleine!«, schlug der Burgunder irgendwann vor.
»Bei uns essen die Weiber bei solchen Gelegenheiten in der Küche«, wandte der Tübinger ein.
»Da, wo ich herkomme, schließt man die Damen an der Tafel nicht aus.«
Die beiden Glasmaler funkelten sich über den Tisch hinweg an wie zwei bissige Hunde, und die Augenbrauen beider Dominikaner hoben sich bis zum Rand ihrer Tonsur.
»Nur zu«, sagte Prior Johannes und hob einladend die Hand.
Lena etzte sich zögerlich und ließ sich von Lionel Jourdain auftun. Ganz kurz irrlichterten Valentins blaue Augen über sie hinweg, dann schaute er demonstrativ zu den Franziskanern hinüber.
»Danke«, murmelte sie und wäre am liebsten unsichtbar geworden.
Da saßen sie nebeneinander, Valentin und der Tübinger Glasmaler, und waren so verschieden wie Feuer und Wasser. Marx Anstetter, den sie heiraten würde, trug wie immer feines Wolltuch, heute war es ein kurzer Mantel, senkrecht geteilt in Hellblau und Dunkelblau, eingefasst mit einer kunstvoll gewebten schwarzen Borte. Über der Lehne des Stuhls hing der teure Hut, den er trotz der Hitze mit sich herumschleppte. Sein Haar fiel ihm glatt und dunkel in die Stirn und wurde hin und wieder mit einer fahrigen Gebärde zurückgestrichen. Eigentlich sah er gar nicht so schlecht aus. Lena wusste selbst nicht, was sie an ihm störte. Gewiss, er war nicht groß, aber gerade gewachsen, und schiefe Zähne hatten schließlich auch andere Leute. Es ist etwas Innerliches, dachte sie traurig. Etwas stimmt nicht zwischen uns, und ich kann es nicht einmal in Worte fassen.
Valentins klares Gesicht kannte sie besser als ihr eigenes. Tag für Tag hatten sie die Stadt und die Weinberge unsicher gemacht, der Sohn der Baumeisterwitwe und die mutterlose Glasmalertochter, deren Väter beide im Zuge des Stadtkirchenbaus aus Speyer nach Esslingen gekommen waren. Lena wusste nicht mehr, wie viele Streiche sie miteinander ausgeheckt hatten, nur, dass es sich irgendwann einmal anders angefühlt hatte, wenn er ihre Hand nahm, dass es ihr Herzklopfen machte und Schmetterlinge im Bauch. Plötzlich lag ihnen daran, alleine umherzustreifen und sich dabei alles zu erzählen, und sie versuchten, den kleinen Kilian abzuhängen, der ihnen folgte wie ein junger Hund. Auch er war allein. Seine Mutter war zwar die Schwester des Bürgermeisters Kirchhof, aber für den unehelich geborenen Kilian hatte sie sich kaum interessiert. Als er zehn Jahre alt war, heiratete sie einen Kaufmann aus Ulm und ließ ihn in Esslingen zurück, ohne auch nur zu versuchen, ihn als »Mantelkind« in die neue Ehe mitzubringen. Zwei Jahre später trat er ins Dominikanerkloster ein. Kurz darauf hatten Valentins Mutter und Lenas Vater ihre Zusammenkünfte verboten. Valentin wurde in die Lehre zu Meister Heinrich gesteckt, und Lena tagsüber in Marthas Obhut gegeben, bis ihr Vater feststellte, wie gut sie zeichnen konnte.
Während sie nachdenklich ihren Knochen abnagte und sich dann noch ein Stück
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