Die Himmelsmalerin
Raum, und die anderen verharrten in ihre Gespräche vertieft rund um den Tisch. Valentin stand allein vor seinem unberührten Stück Kapaun. Nur Kilian kam auf ihn zu.
»Und, wie geht’s?« Kilian war immer der Kleine gewesen, der, den Lena und Valentin eher zwangsweise auf ihren Erkundungstouren mitgenommen hatten. Jetzt blickte er ihm mühelos in die Augen.
Er zögerte. »Nicht so gut.«
»Klar«, sagte der Jüngere und deutete mit dem Kinn in Richtung von Lenas Bräutigam, der so in sein Gespräch mit dem Prior der Dominikaner vertieft war, dass er vergaß, seinen Stuhl zurückzuschieben. Kilian hatte immer schon schnell begriffen.
»Und dir?«, fragte Valentin.
»Ich gehe bald nach Köln«, sagte der Jüngere lässig. »Der Orden zahlt mein Studium.«
»Glückwunsch«, murmelte Valentin. Im Dominikanerkloster gab es zwar seit einigen Jahren ein Studium, aber Kilian hatte seine Mitstudenten schon längst überflügelt.
Der Novize folgte dem Prior nach draußen. Heinrich Parler begleitete Meister Luginsland und den Tübinger in die Werkstatt, um sich die neusten Projekte anzuschauen und zu fachsimpeln. Die Franziskaner waren schon gegangen, ebenso der burgundische Glasmaler.
Plötzlich fand sich Valentin mit Lena allein in der Stube. Sie hatte begonnen, die Holzteller auf dem Servierbrett des Kapauns zusammenzustellen, von dem nur noch Knochen übrig waren.
»Lena!« Hitze stieg in sein Gesicht, verdammt!
»Ja?« Sie sah auf.
»Ich … Du …« Diese Gelegenheit durfte er nicht verstreichen lassen. Wenn er nur wüsste, was er sagen sollte. Unwillkürlich griff er nach ihrem Handgelenk, und dann waren die Worte plötzlich da.
»Lass uns fortgehen!«, drängte er. »Weit fort, dahin, wo uns niemand kennt. Ich finde überall Arbeit. Auf jeder Baustelle im Reich. Ich kann uns ernähren.«
Sie sah ihn bestürzt an.
»Aber Valentin! Du bist noch nicht einmal Geselle.«
»Das macht nichts«, gab er eigensinnig zurück. »Ich bin gut. Wenn wir jetzt gehen, ist es noch früh genug!«
»Früh genug für was?«, flüsterte sie. »Dass unsere Werkstatt schließen muss, weil sich niemand findet, der sie übernehmen kann? Nein, Valentin!«
Er griff wieder nach ihrer Hand, doch jetzt riss sie sich los. Lena war nie schwach gewesen, kein zartes Püppchen wie viele andere, die weinten, wenn man sie bloß schief ansah. Jetzt jedoch wusste er, dass er sie mühelos überwältigen konnte. Plötzlich hatte er Lust, es ihr zu zeigen, sie an die Wand zu drängen, einfach so zu küssen und all die anderen Dinge mit ihr zu tun, die er sich jede Nacht ausmalte. Er legte die Hände in ihren Nacken, wo die Haut unter ihrem schweren Haar ganz feucht war.
»Es geht nicht«, flüsterte sie verzweifelt.
»Aber ich liebe dich.«
Ihre Hand strich zart über seine Wange. »Valentin«, flüsterte sie.
Irgendetwas in ihm zerbrach.
Entschlossen löste sie sich aus seiner Umarmung, nahm das volle Servierbrett und stieß fast mit Martha zusammen, die mit wogendem Busen in der Tür stand und die Situation auf Anhieb erfasste.
»So!« Die Köchin stemmte die Hände in die Hüften und schaute von Lena zu Valentin.
»Ich wollte sowieso gerade gehen«, stieß dieser hervor und verließ den Raum.
Als er durch das Tor auf die Straße trat, fielen die ersten Regentropfen. Über den Weinbergen zerschnitt ein Blitz die bleiernen Wolken, und Donner krachte über Esslingen. Ziellos streifte Valentin durch die Stadt und wusste nicht, wohin er gehen sollte. Noch war es nicht spät, doch die Dämmerung hatte durch den Regen schneller eingesetzt, lag grau zwischen den Häusern und in den nassen Straßen. Allerlei Gelichter trieb sich sonst rund um die Hofstatt herum, Handwerkergesellen und Flößer, denen der Monatslohn locker in der Tasche saß und die sich die Zeit auch mal mit der einen oder anderen Hure vertrieben. Heute hatte der Regen das Nachtvolk in die Schenken getrieben, wo man weiter turtelte und trank und sein Geld beim Würfelspiel verlor.
»He, Valentin!«, rief der Zieglerwirt, bei dem er heute Mittag verspätet den Wein für die Steinmetze erstanden hatte. Kurz dachte er daran, sich sinnlos zu betrinken. Die hell erleuchteten Fenstervierecke der Schenke lockten ihn, aber seine geringe Barschaft reichte nicht aus. Deshalb hielt er auf die Wiesen am Neckarkanal zu, die der starke Regen gerade unter Wasser setzte, und verkroch sich ins Weidengebüsch am Ufer wie ein verwundetes Tier. Das Gewitter hatte sich verzogen, doch der
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