Die Himmelsmalerin
Mönche ins Haus an der Froschweide gehen.« Einen abgeschossenen Pfeil konnte man nicht wieder zurückholen. Kilian wurde erst so grau wie Asche und dann rotviolett, eine Farbe, von der sich Lena unwillkürlich vornahm, sie einmal in einem Glasbild zu verwenden.
»So etwas darfst du nicht einmal denken«, flüsterte er aufgebracht. »Und schon gar nicht aussprechen.«
»Aber wie sollen wir die Wahrheit sonst beweisen?«
Er schaute auf den Boden und schüttelte den Kopf. »Wer seine Gelübde nicht hält, verspielt seine unsterbliche Seele.«
»Die Mönche sind auch nur Menschen. Vielleicht hat Pater Ulrich ja jemanden in flagranti ertappen wollen und sich deshalb nachts in die Gassen gestohlen.«
Kilian schaute sie noch einmal an, schüttelte dann wieder den Kopf und ging zurück ins Kloster, ohne sich umzublicken.
»Aber eins ist doch klar«, rief Lena ihm hinterher. »Pater Ulrich wollte jemanden treffen. Und es war sicher nicht Valentin. Dieser Jemand hatte einen Grund, ihn umzubringen.«
Doch Kilian war schon durch die Klosterpforte geschlüpft und hörte sie nicht mehr.
Schwarz fiel der Schatten des Chors im blauen Licht des frühen Abends über den Platz. Dort, wo er am tiefsten war, stand der Jäger und hörte Lenas Worte wie klare Glockenschläge. »Dieser Jemand hatte einen Grund, ihn umzubringen.« O ja, den hatte er. Eine Gruppe Steinmetze kam von der Baustelle der Liebfrauenkapelle und freute sich über den Feierabend, den sie sicher im Wirtshaus verbringen wollten. Die jungen Männer grölten, schubsten einander und lachten, als einer stolperte. Seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, drückte sich der Jäger tiefer in den Schatten. Unfassbar, das törichte kleine Mädchen hatte seine Fährte aufgenommen!
Ein milder Sommerabend senkte sich über Esslingen, als Lena müde und frustriert nach Hause ging.
»He, Lena, warte auf mich!«
Überrascht hob sie den Kopf und sah Rosi Rufle an der Ecke von Renatas Apotheke stehen und einen Haufen kleine Münzen zählen.
»Hast du was von Valentin gehört?«
Traurig schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich weiß nicht, wo er sich verstecken könnte.« In den letzten Tagen hatte sie alle Gewölbe und Schlupfwinkel in der Stadt abgesucht. Keiner war ihr sicher genug erschienen, um von den Gefolgsleuten des Herzogs von Teck nicht entdeckt zu werden, und kein Mensch in der geschäftigen Stadt so vertrauenswürdig, dass er Valentin nicht verraten würde.
Rosi wartete auf Lena und begleitete sie. Vor einigen Jahren war sie ebenso wie Lena und Valentin ein Gassenkind gewesen, Teil der Bande wilder Bälger, die sich tagsüber um die Marktstände herumtrieben, hin und wieder einen Apfel stibitzten, die Reisenden mit Brunnenwasser bespritzten und abends viel zu spät nach Hause fanden. Bei Rosi, die sich zu einem hübschen Mädchen mit dunkelbraunen Locken entwickelt hatte, lagen nur die Gründe anders. Während Vater Luginsland damals zu wenig Zeit hatte, um sich um seine mutterlose Tochter zu kümmern, war Rosis Familie einfach zu groß, um sie ständig daheim zu versorgen, das Brot immer zu knapp für all die hungrigen Mäuler, die der Tagelöhner Hans Rufle und seine Frau in die Welt gesetzt hatten. Nur für eines war das Geld nie zu knapp: für den billigen Fusel, von dem der Vater mehr und mehr trank. Wenn er betrunken war, setzte es Prügel, so dass Rosi und ihre Geschwister noch seltener daheim auftauchten. Das Letzte, was Lena von Rosi gehörte hatte, war, dass ihr Vater sich zu Tode gesoffen hatte. Mit einem Stich schlechten Gewissens fragte sie sich plötzlich, wie es Mutter Rufle schaffte, ihre Kinderschar über Wasser zu halten.
»Sag, Lena.« Rosi beugte sich zu ihr herüber »Hättest du dem Valentin das zugetraut?«
Zornig stemmte Lena ihre Hände in die Seiten. »Verflixt«, rief sie. »Warum kann niemand – nicht einmal du – begreifen, dass er es nicht war!«
»Aber woher willst du das wissen?«
Lena zuckte die Schultern. Tränen traten in ihre Augen, so allein fühlte sie sich plötzlich. »Er bringt einfach keine Leute um.«
Rosi blieb stehen. »Um den Dominikaner ist es nicht schad. Der war ein Schwein, wenn auch ein zu mageres.«
Fast musste Lena lachen. »Warum?«
»Was meinst du, was er mir und meinesgleichen so alles angedroht hat, von wegen Höllenfeuer …«
Lena verstand nicht ganz und beschloss, lieber nicht genauer nachzufragen.
»Verkaufst du immer noch Kräuter an Renata?«
Rosi nickte. »Ja, meine Mutter und meine
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