Die Himmelsmalerin
Schwestern gehen weiter sammeln. Schafgarbe ist jetzt dran. Aber der Apotheker ist so knauserig, dass es hinten und vorne nicht langt.«
»Und wie kommt ihr über die Runden?«
Rosi schüttelte den Kopf. »Gar nicht, wenn die Eva und ich uns nicht verdingt hätten.«
Sie durchquerten die engen Gassen und machten dabei einen Bogen um einen Haufen fauliger Kohlblätter, der vergoren roch und voller dicker blaugrüner Schmeißfliegen saß. »Die Eva geht als Magd«, sagte Rosi. »Schrubbt und putzt und lässt sich von der Herrschaft anmeckern. So wie das Loisl da, das dem Pater Pfleger den Haushalt macht!«
Sie zeigte auf die Magd aus dem Fürstenfelder Pfleghof, die gerade die Stufen des brandneuen Hauses mit einer Wurzelbürste scheuerte. Blonde Strähnen hatten sich aus ihrem Haarkranz gelöst und fielen ihr über die vollen Brüste. Ein Mann trat aus der Tür, klapste der Magd auf den Po, steckte ihr eine Münze zu und machte sich dann über die feuchten Treppenstufen davon. Lenas Augen wurden groß, und ihr Herz begann zu klopfen.
»Komm!«, sagte sie und zog Rosi in die Toreinfahrt des nebenstehenden Hauses. War das nicht der Anstetter gewesen, den sie daheim in Tübingen vermutete? Nein, das konnte nicht sein, auch wenn der Mantel des Fremden dem seinen verblüffend ähnlich gesehen hatte.
»Kanntest du den?«, fragte Rosi.
Lena schüttelte den Kopf.
Rosi kniff die Augen zusammen. »Na, wie sich das Loisl den Pfennig verdient hat, das möcht ich lieber nicht wissen. Ich jedenfalls täte so was nie, auch wenn die Männer das gern hätten.«
Sie musterte Lena, und schien zu prüfen, ob sie ihr ein Geheimnis anvertrauen konnte oder nicht. »Ich schaff zwar als Schankmagd, aber anschaffen gehen würd ich nie und nimmer.« Lena ärgerte sich, als sie merkte, dass ihre Ohren heiß wurden. »Wo denn?«
»Im Schwarzen Eber«, flüsterte Rosi.
Die Schenke hatte einen schlechten Ruf. Aber vielleicht wusste die Rosi gerade deshalb etwas.
»Du, Rosi«, fragte Lena beiläufig. »Verkehren bei euch vielleicht auch Mönche?«
In dem Mädchen arbeitete es. »Du willst herausfinden, ob einer einen Grund hatte, den Dominikaner ins Jenseits zu befördern – deshalb willst du wissen, ob bei uns die Mönche mit den Huren …«
Lena nickte. Dumm war die Rosi sicher nicht.
»Nicht direkt in der Schenke«, meinte sie. »Aber anbandeln tun sie da schon.« Sie musterte Lena verschmitzt aus ihren schmalen dunklen Augen. »Weißt du was, Lena? Frag die Wirtshaushuren doch selbst, was die Mönche so treiben. Ich mach dich gern mit ihnen bekannt. Komm einfach heut Abend zum Schwarzen Eber.« Sie winkte und ging dann durch die enge Gasse davon. »Aber nicht zu früh, hörst du!«
14
Als Lena vor der Tür des Schwarzen Ebers in einem Hinterhaus der Strohgasse stand, klopfte ihr das Herz bis in den Hals. Martha vermutete sie schon lange im Bett. Sie wäre sicher entsetzt, wenn sie wüsste, wie Lena entkommen war: Sie war aus dem Dachfenster gestiegen, dann ein Stück an der Traufe entlangbalanciert und den Apfelbaum hinuntergeklettert. Das letzte Mal hatte sie sich auf diese Weise davongestohlen, als sie mit Kilian und Valentin einen Sonnenaufgang von den Neckarwiesen aus beobachten wollte. Das musste jetzt vier Jahre her sein. Aber in die verrufenste Schenke Esslingens gehen … Sie malte sich lieber nicht aus, was ihr Vater mit ihr anstellen würde, wenn er davon erfuhr.
Entschlossen stieß sie die Tür auf, trat mit einem großen Schritt über die Schwelle und sah sich um. Hehler, Tagediebe und anderes Gesindel sollten im Schwarzen Eber ihr Unwesen treiben. Davon bemerkte Lena zunächst einmal nichts, was vor allem daran lag, dass die Sicht insgesamt vernebelt war. Die Schankstube war klein, der Rauch der Jahrzehnte hatte die Holzbalken schwarz gefärbt, verschütteter Wein den Fußboden dunkel und klebrig gemacht. Es war stickig und schummrig, denn die Öllichter auf dem Tisch hatten so kleine Flammen, dass ihr Licht von dem fettigen Rauch aufgesogen wurde, der von der offenen Feuerstelle ausging. Aus dem Kessel darüber roch es nicht gerade appetitlich. Hammeleintopf, dachte Lena. Unschlüssig stand sie im Raum und merkte plötzlich, dass es um sie herum totenstill geworden war. Jeder, aber auch wirklich jeder Gast hatte den Blick erhoben und starrte sie an wie einen Geist. Neben ihr saß eine Gruppe Schreinergesellen am Tisch und würfelte. Der Junge, der an der Reihe war, erstarrte bei ihrem Anblick, bevor er den
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