Die Himmelsmalerin
halten könnte, aber sie hatte keine Ahnung – genauso wenig wie Meister Heinrich Parler und seine Steinmetze. In den Zunfthäusern, bei den Pächtern der Weinberge und in den Pfleghöfen der Klöster hatte sie auch schon nachgefragt. Entmutigt steckte sie die Hände in die Schürzentaschen. Die ganze Stadt hatte sie nach Valentin abgesucht und keine Spur von ihm gefunden.
Nur wenn sie Lionel bei seiner Arbeit beobachtete, einen Meister seiner Kunst, schnell, perfekt und effektiv, vergaß sie, dass sie die Schuld an Valentins Schicksal trug. Denn wenn sie ihm nicht den Laufpass gegeben hätte, wäre er Pater Ulrichs wirklichem Mörder niemals in die Quere gekommen.
Der Sommer stand mitten in seiner ganzen Fülle. Lena ging zum Waldrand hinüber und setzte sich ins Gras, wo hinter einem schmalen Buschbewuchs die Bäume begannen, die sich über die Hügel des Schurwalds bis zum Remstal hinzogen, Buchen, Eichen und Tannen dicht an dicht. Eine Windböe drückte den Qualm vom Schornstein auf den gerodeten Platz herunter und ließ einen Ascheregen auf Lena niedergehen. Sie pflückte eine kleine lila Blume, deren Namen sie nicht kannte, und hielt sie an die Nase. Ihr Duft war zu zart, um den Geruch nach Rauch zu vertreiben, den sie immer noch an sich hatte. Seufzend stand sie auf und klopfte sich die weißlichen Flocken vom Rock. Martha würde schimpfen, denn schon wieder musste eine von ihnen an den Waschtrog.
In diesem Moment trat ihr Vater mit Lionel und dem Schmelzmeister vor die Tür. Die gelben Gläser waren fertig und würden mit dem Rest der Bestellung morgen in Esslingen eintreffen. Zu dritt machten sie sich an den Abstieg und durchquerten dabei die Dörfer Liebersbronn, Hegensberg und das kleine St. Bernhardt. Doch am Stadttor erwartete sie eine böse Überraschung. Kaum waren sie hindurch, traten zwei Bewaffnete auf sie zu. Einer der beiden führte Meister Heinrich am Arm zur Seite und sprach hastig auf ihn ein. Der Zweite war so riesig, dass sein Pferd sicher unter ihm zusammenbrach, wenn er sich draufsetzte. Er gaffte Lena so ungeniert an, dass sie sich hinter Lionel verbarg. Was wollten die hier? Als ihr Vater sich wieder zu ihnen gesellte, trat Lena mit fragenden Augen an ihn heran.
»Wir müssen schnell heim.« Heinrich Luginsland sah müde aus. Sein Gesicht wirkte eingefallen und grau. »Ein Gefolgsmann des Herzogs von Teck sitzt in der Stube und wartet auf uns. Das da sind seine Leute.« Der Riese stieg auf ein ebenso riesiges Pferd, das er im Schritt neben ihnen hergehen ließ.
O weh, das wurde ja immer besser! Die Männer des Herzogs von Teck durchstöberten die ganze Stadt und drehten auf der Suche nach Valentin jeden Stein um. Und jetzt waren sie sogar zur Glasmalerwerkstatt gekommen, um sie – Lena – zu befragen. Verflixt! Ihr Herz klopfte, als sie den Männern durch die Stadt nach Hause folgten. Die Händler, die am Kornmarkt auf Kundschaft warteten, warfen Lena und ihrer Begleitung so manchen interessierten Blick zu.
»Mörderhure«, rief die alte Griet, die zwischen ihren Steigen mit Walderdbeeren saß. Diese zahnlose alte Hexe! Heinrich kreuzte die Finger gegen den bösen Blick und zog Lena am Ärmel voran. Als sie schließlich bei ihrem Haus ankamen, ging sie direkt in die Stube und band sich ein helles Tuch um die verschwitzten Haare. Mit dem abgestandenen Wasser in der Schüssel wusch sie sich schnell Gesicht und Hände.
Als sie im Gang vor der Tür zur Stube stand, war ihr Mund staubtrocken. Sie schluckte und drückte auf die Klinke, bevor der Mut sie ganz verließ. Einen Krug mit Weißwein vor sich, saß der fremde Ritter an der großen Tafel, an der vor nicht ganz einer Woche das Unheil seinen Lauf genommen hatte. Er unterhielt sich entspannt mit ihrem Vater. Lena atmete durch. Vielleicht war ja doch nicht alles so schlimm, wie sie dachte.
»Da bist du ja, Lena.« Ihr Vater erhob sich. »Darf ich vorstellen? Herr Ritter Stefan von Hardenberg. Das ist meine Tochter Magdalena.«
Der Ritter, ein breit gebauter Mann mit blondem Bart und strengen Augen, erhob sich und musterte sie prüfend.
»Nun, Jungfer Magdalena. Ihr kennt sicher den Grund meines Besuchs«, begann er.
Lena nickte eingeschüchtert. »Es geht um Valentin.«
Der Ritter setzte sich wieder und bot auch ihr einen Stuhl an, auf dem sie sich zögernd niederließ.
»Als Gefolgsmann von Herzog Ludwig suche ich in seinem Auftrag nach dem Mörder seines Onkels. Um ihn dem Kirchengericht und damit seiner gerechten
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