Die Himmelsmalerin
Bruder?«
»Ist auch tot. Die Hebamme konnte ihn gerade noch taufen.« Lenas Augen brannten. »Sie liegen beide auf dem Kirchhof an der Stadtkirche.«
»Es ist nicht mehr lang bis Sonnenaufgang«, sagte der Burgunder, erhob sich und streckte seine langen Glieder.
»Meister Lionel«, sagte Lena. »Was ist mit Euch und dem Tod?«
»Der …« Er lächelte ein schiefes und trauriges Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »… ist mein allerbester Gefährte.«
15
»Metze!« Marx Anstetter warf den Hut in die Ecke und trat auf Lena zu, die mit dem Rücken zur Wand auf ihrem Bett saß, die Arme um die Knie geschlungen.
»Wie konntet Ihr mir das antun?«, fragte er kalt. »Die ganze Stadt lacht über mich.«
Lena sah ihn mit großen Augen an. Wieder mal ging es allein um Anstetters guten Ruf und seine Ehre, die sie unwiederbringlich besudelt hatte.
Ihr Verschwinden war nicht unbemerkt geblieben. Als sie im Morgengrauen mit Meister Lionel zurückgekommen war, stand ihr Vater schon in der Tür und stellte sie zur Rede. Eine Stunde später brachte Martha die ganze schlimme Wahrheit vom Brunnen mit nach Hause, so dass sich Lenas Versuche, ihren Fehltritt abzuwiegeln, als vergeblich erwiesen. Lionel hatte recht gehabt: Die ganze Stadt zerriss sich das Maul über den Vorfall im Schwarzen Eber. Am Frühstückstisch herrschte dicke Luft – ihr Vater schwieg, was immer ein Maß für seinen Zorn war, während die Lehrbuben verschüchtert ihre Schale Brei verdrückten und dann ungefragt an die Arbeit gingen. Am schlimmsten aber war, dass der aus Tübingen zurückgekehrte Anstetter während der Mahlzeit glühend vor Zorn in die Küche geplatzt war. Lena hatte die Flucht ergriffen und war die Treppe hinauf in ihr Zimmer gestürzt, doch er war ihr ungefragt gefolgt, ohne dass Heinrich oder der burgundische Meister ihn aufgehalten hätten.Verflixt! Die Dachkammer war immer ihr Reich gewesen, ein Rückzugsort, an dem sie nicht einmal ihr Vater störte, aber ein Bräutigam hatte wohl andere Rechte.
»Nein!«, schrie sie, doch es war zu spät.
Er näherte sich dem Tisch, wischte die dünnen Holzplatten und Pergamente, auf denen sie ihre Entwürfe und Zeichnungen anfertigte, zu Boden und zertrat sie. Das klang so traurig und trocken wie das Gras auf den Wiesen im Herbst, wenn der Schnitter es abbrannte. Auf diesen Platten hatten auch die Gedanken Gestalt angenommen, die sie sich über das Wandbild mit dem Thron Salomonis, den schönen Auftrag aus Bebenhausen, gemacht hatte. Jetzt war alles zerstört! Tränen traten in ihre Augen. Nur nicht weinen, dachte sie, und schluckte sie tapfer herunter.
»Ein Weib, das sich anmaßt, Glasfenster zu bemalen, ist lächerlich und macht die Werkstatt zum Gespött der ganzen Stadt.«
Mit erhobener Hand trat er an das Bett heran. Lena duckte sich und drückte sich an die Wand, doch mit der Linken schob er den Arm zur Seite, mit dem sie ihr Gesicht schützte. »Glaubst du, ich hätte nicht gewusst, was du heimlich in der Werkstatt deines Vaters treibst? Ich werde dich lehren, mich noch einmal zum Narren zu halten.«
Der erste Schlag traf sie völlig überraschend mitten ins Gesicht. Lena fühlte etwas Warmes im Mundwinkel. Anstetters Rubinring hatte sich nach innen gedreht und einen langen blutigen Kratzer auf ihrer Wange hinterlassen.
»Nicht!«, schrie sie, doch der zweite Schlag landete auf ihrer Nase, die ebenfalls zu bluten begann. Es schmerzte höllisch. Lenas Augen brannten und liefen dann einfach über. Was für eine Demütigung!
»Du sollst vor mir zu Kreuze kriechen«, brüllte ihr Bräutigam und schlug ein drittes Mal zu, diesmal gezielt gegen die Schläfe. Lena sackte zur Seite. Einen Moment lang sah sie nur Sterne, dann rappelte sie sich mühsam hoch. Was sie erblickte, machte ihr Angst. Anstetter stand vor ihr, hatte sein Gewand gehoben und fingerte an seinem Mannesstolz herum, von dem sie nicht den Blick wenden konnte. Lena hatte keinen Vergleich, aber er erschien ihr nicht eben groß.
»Sagt, Jungfer Lena. Wen habt ihr schon rangelassen? War es der Steinmetz, der Burgunder, einer der Flößer oder gar alle zusammen?«
Seine Bemühungen zeigten erst Erfolg, als er sich in Rage geredet hatte. »Wenn ich jetzt noch die Werkstatt übernehmen soll, müsst Ihr mir schon einen Gefallen tun. Also solltet Ihr schön brav sein und die Beine breit machen für Euren rechtmäßigen Bräutigam. Neu kann es für Euch ja nicht mehr sein.«
Er stürzte sich auf sie, drückte ihre Arme
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