Die Himmelsmalerin
man Silbernitrat mit Tonerde vermischte. Von hinten bildeten die Bleiruten breite Grate, und das Ganze war kein Wunder an Lichtdurchlässigkeit mehr, sondern nur noch eine Ansammlung grober Glasstückchen.
»Igitt!«, rief Lena. »Warum verhunzt du das Fenster?«
»Und warum bemalst du die Außenseite? Oder sollte ich sagen: verschmierst?« Konrad schüttelte verständnislos den Kopf.
Lionel aber lachte leise vor sich hin und bestrich den Heiligenschein des Apostels Johannes, der danach aussah, als hätte er den Kopf in eine Lehmgrube gesteckt. Danach griff er sich das nächste Werkstück.
Das machte er mit allen Fenstern so, in denen es noch durchsichtige Fragmente gab, so dass der Stapel mit braun beschmierten Gläsern unaufhörlich in die Höhe wuchs. Konrad und Lena standen kopfschüttelnd daneben.
»Wenn du meine Hintergründe versaust, lernst du mich kennen!«, drohte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Doch darauf ging er erst gar nicht ein.
»Der Altgeselle wartet beim Brennofen auf uns«, sagte er.
Also ließen sie die Dreckschicht trocknen und transportierten die Fenster mit dem Handkarren vorsichtig zum Brennofen auf dem Bleichwasen. Hier, nahe der Neckarnebenarme, war es Großvater Lambert erlaubt worden, die Glasfenster nach dem Bemalen ein zweites Mal zu brennen und das Blei aufzuschmelzen. Lionel und Konrad zogen, Lena und die kleine Sanna gingen hinterher und passten auf, dass der Karren nicht kippte. Nicht wenige Augen folgten der kleinen Prozession, die sich durch das Marktgetümmel drängte.
»Na, Meister Jourdain, geht es mit den Fenstern voran?«, fragte der Almosenpfleger der Franziskaner, der am Finsteren Tor Brot an die Armen verteilte. Lionel nickte, hob einen Kanten auf, der im Dreck gelandet war, putzte ihn an seinem Hemd ab und reichte ihn einem Jungen, dem der Hunger in den Augen stand.
»Wenn jemand die braunen Stellen sieht, bist du deinen guten Ruf los, Burgunder.« Konrad schüttelte den Kopf und schob sich die Mütze in den Nacken.
Aber Lionel lachte bloß, siegesgewiss und übermütig, als hätte es die letzten acht Jahre nicht gegeben.
»Er ist vollkommen verrückt«, rief der Freiburger Geselle in Lenas Richtung, die die Achseln zuckte. Vielleicht hatte er sogar recht.
»Es ist alles bereit.« Johann, der Altgeselle, stand in der Tür zur Brennwerkstatt und erwartete sie schon.
»Gut so.« Lionel nickte und begann, die Öfen mit Buchenholz zu füttern, damit sie die mäßige Temperatur erreichten, die für den zweiten Brand, der die Malfarbe darauf fixieren sollte, gerade richtig war. Nur, dass es hier nicht um Schwarzlot, sondern um Silbergelb ging. Als Lionel die verschmierten Fenster aus ihrer Verpackung holte, bekam der Altgeselle den Mund nicht wieder zu. Sogar die kleine Sanna merkte, dass hier etwas nicht stimmte.
»Wenn das der Johannes sieht«, sagte sie und drückte sich die Hand vor den Mund.
Lionel kümmerte sich nicht darum, sondern legte seine Werkstücke eins nach dem andern in den Ofen. Als das erste Fenster fertig war, holte er es vorsichtig mit zwei Zangen heraus und ließ es in aller Ruhe abkühlen. Sorgfältig kratzte er dann die braune Schicht vom Haar des kleinen Moses, der in seinem Körbchen lag, als würde ihn die Sensation, die hier vonstatten ging, nicht wirklich interessieren. Das bräunliche Pulver, das dabei abfiel, sammelte er sorgfältig ein. Es enthielt genügend Silber, dass man es ein weiteres Mal verwenden konnte. Lena, die hinter ihm stand, hielt die Luft an. Konrad atmete hektisch, und sogar Johann riskierte einen zweifelnden Blick. Unter der Schicht war das Haar des Kindes dunkelgolden. Das Gleiche tat Lionel mit dem Scheitel der ägyptischen Königstochter rechts über Moses, der jetzt nicht mehr schmutzig braun, sondern goldblond aus dem Schleier lugte.
»Voilà«, sagte er und lehnte sich zurück. Die Anwesenden waren noch einen Moment lang still, doch dann redeten sie plötzlich alle durcheinander.
»Das ist Hexenwerk«, sagte der Altgeselle und machte das Zeichen gegen den bösen Blick.
»Aber es sieht so schön aus!« Sanna hatte es erfasst.
»Es gab Gerüchte, aber geglaubt hat sie niemand«, sagte Konrad erschüttert.
Eine Hand legte sich auf Lionels Schulter. Sie gehörte Lena. »Was ist das?«, fragte sie schüchtern.
Er drehte sich um und sah sie einen nach dem anderen an. »Es ist vielleicht das erste Mal, dass so weit rechts des Rheins mit Silbergelb gearbeitet wird. Aber es wird nicht das letzte Mal
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