Die Himmelsmalerin
sein.«
»Es ist also eine Malfarbe«, sagte Lena langsam. »Eine weitere neben dem Schwarzlot.«
Lionel sah, wie es in ihr arbeitete.
»Daraus ergeben sich unglaubliche Möglichkeiten.«
»Du begreifst schnell.« Lionel lachte.
»Und wie entsteht das Ganze nun?« Wie jeder gute Handwerker schaute sich Konrad Neuerungen mit einem gesunden Misstrauen an.
»Das Geheimnis kommt von der Isle de France«, erläuterte Lionel. »Mein Meister Thierry hat es vor einigen Jahren entdeckt, indem er einen Trick der Goldschmiede auf die Glasmalerei übertrug. Es ist Silberlot, eine Farbe, die in eine Trägersubstanz aus Tonerde eingebracht und meistens auf der Rückseite aufgetragen wird. Nach dem Brennen bleibt ein Goldton zurück, der ganz verschieden ausfallen kann.«
Die Farbpalette reichte je nach Brenndauer und Stärke des Auftrags von einem hellen Zitronengelb bis hin zu einem satten Rostton.
»Dann kann man künftig auch Kronen und Wappen mit Gold gestalten.« Lena legte die Hände zusammen.
»Du hast es erfasst!«
»Und Gewänder mit Gold verzieren.«
»Und«, fügte Konrad nachdenklich hinzu. »Man könnte sogar wie durch Zauberei ein Grün entstehen lassen, indem man eine blaue Fläche mit dem Gelb übermalt. Hast du mich deshalb aus Freiburg geholt?«
»Auch – aber nicht nur«, sagte Lionel.
Bei dem Wort Zauberei hatte Johann wieder die Finger gekreuzt.
»Mein Vater! Das müssen wir ihm unbedingt zeigen.« Lena blickte Lionel erwartungsvoll an.
»Wir werden eins der Glasfenster an sein Krankenbett bringen«, sagte dieser. »Und wenn es ihm bessergeht, kann er den Herstellungsprozess miterleben. Aber jetzt sollte der Ofen nicht kalt werden. Johann, könntest du bitte Feuerholz nachlegen!«
Bis in den Nachmittag hinein brannten sie alle mitgebrachten Scheiben.
25
»Das ist ein Fenster zum Himmel.« Es war Zeit für die erste Präsentation. Prior Johannes hob das Pfingstbild an und ließ die Sonne durch die edelsteingleichen Farben der Glasfragmente leuchten. Zwischen den Wänden des Chors stand das Licht des Mittags und malte aus den Farben des alten Chorfensters Regenbogensplitter auf den Fliesenboden. Lionel hatte den vielteiligen Entwurf für das neue Fenster auf eine große Leinwand gezeichnet und zwischen die Reihen des Chorgestühls auf dem Boden ausgelegt. Drum herum lagen die Scheiben, die sie gestern gebrannt hatten. Das Silbergelb, das dem Haar und den Heiligenscheinen der Figuren ihre endgültige Farbe gab, erstrahlte im Licht und ließ die bemalten Stellen wirken, als sei der Wind hindurchgegangen, lebendiger als jede Glasmalerei, die Lena zuvor gesehen hatte. Sie stand an der Wand nahe der Nische für das Altargerät, in der sich, wenn man sie öffnete, ein goldglänzendes Portrait des Ordensgründers und seiner ersten Nachfolgerin, der heiligen Klara, verbarg. Neben ihr lehnte Valentin mit dem Rücken an der Mauer, ein Bein leicht angewinkelt, und schaute skeptisch.
»Es ist noch viel schöner geworden, als ich dachte«, sagte der Prior leise. »Wie mir scheint, habt Ihr in Paris auch Buchmalerei studiert!«
»Ihr wisst, dass ich zuerst in einem Kloster ausgebildet wurde.«
Lena hielt den Atem an. Lionel war vielleicht ebenso wie Kilian ein Novize gewesen und hatte sich dann für eine andere Laufbahn entschieden? Was zwischen ihnen zu wachsen begann, war noch neu und kostbarer als das Silbergelb, das Lionel ihnen gestern zum Geschenk gemacht hatte. Lena sammelte jede Information über ihn so sorgfältig wie Goldmünzen, die sie auf dem Boden fand.
»Jeder weiß, dass man nach Frankreich reisen muss, wenn man etwas wirklich Neues lernen will«, sagte Valentin leichthin.
»Wenn du die großen Kathedralen meinst, sicher.« Konrad trat aus der Tür der Sakristei. »Aber so neu sind die nun auch wieder nicht.«
Lionel hob den Kopf. »Die Zukunft liegt woanders.« Seine braunen Augen trafen sich mit denen Lenas.
»Und wo dann?«, fragte Valentin mürrisch.
Lionel schaute auch ihn prüfend an, bevor er antwortete. »Wer etwas wirklich Neues lernen will, sollte in die Städte Ober- und Mittelitaliens gehen.«
»Du kannst dem Burgunder glauben, Junge«, warf Konrad ein. »Für die Kunst hat er eine so gute Nase wie ein Trüffelschwein.«
»Italien.« Valentin kostete den Geschmack der Silben wie Pfeffer und Zitrone auf der Zunge. Lena aber stemmte die Hände in die Seiten. Wie konnte er sich ausmalen, das Land zu verlassen, bevor er seinen Prozess überstanden hatte!
»Solange wir
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