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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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neben ihr. Drei starke Männer für Lena gegen den Rest der Welt. Aber was nutzte das, wenn Anstetter Verträge vorweisen konnte?
    »Ich …«
    Ihre Hände waren gefühllos, taub, eiskalt. Das Glasfenster, das sie die ganze Zeit über gehalten hatte, rutschte aus ihrem Griff, fiel zu Boden und zersplitterte in tausend Stücke, die aus dem Leinentuch quollen wie Nadeln. Sie bückte sich und entfernte das Tuch, Splitter schnitten in ihre Hände, Blut tropfte auf rubinrote Reste. Es war das Pfingstbild gewesen. In den sanften Augen der Madonna, die aus ihrer Bleihalterung gebrochen war, stand ein stiller Vorwurf. Lionel und Konrad bückten sich und sammelten die Scherben ein. Dass Glasfenster zerbrachen, kam vor, nichts war unersetzbar. Aber Lena hatte nicht gewusst, dass Herzen genauso zerbrechen konnten. Ihre Knie gaben nach, und sie hockte sich auf die Fersen, die Hände wie zwei Schalen auf die angewinkelten Beine gelegt. Als Anstetter schon zwischen den Arkadenbögen stand, drehte er sich noch einmal um.
    »Glasmalerin!«, sagte er spöttisch.

26
    »Du hast dich mit ihm gestritten, damals, in jener Nacht.« Kilian stand am Tisch und goss Wein in zwei kostbare Pokale aus venezianischem Glas.
    »Mit wem?«
    »Mit Pater Ulrich!«
    Der Wein war samtig rot und floss schwer wie Blut über die durchsichtigen Glaswände. Er spürte Balduins dunklen Blick auf seinem nackten Körper und sah sich plötzlich mit seinen Augen, den mageren Rücken, die Haut, die auch im Winter nicht ganz weiß wurde, die sehnigen Arme, die ihm sein unbekannter Vater vererbt haben musste.
    »Es ist, weil ich dich liebe«, sagte der Prior, und Kilian glaubte ihm.
    Balduin lag auf der schmalen Pritsche und stützte sich auf seinen angewinkelten Arm. »Er ist mir in die Quere gekommen, hat sich eingemischt in mein Leben und mein Kloster.«
    »Musste er darum sterben?« Kilian stieg über das Durcheinander von weißen Kutten und schwarzen Umhängen, die sie in aller Eile abgestreift und auf den Boden geworfen hatten, und setzte sich auf den Bettrand. Ulrich hatte nach der Wahrheit gesucht und Balduin mit dem Bruch seines Keuschheitsgelübdes konfrontiert. War ihm das zum Verhängnis geworden? Welche Regeln galten in diesem Kloster – Gottes Gesetz oder das des Priors?
    Balduin drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kopf. »Es ist schade, dass dieser Junge nicht bei der Wasserprobe ertrunken ist. Dann hätte deine Fragerei ein Ende! Komm!«
    Kilian trank den Pokal leer bis auf den Grund und legte sich dann neben den Prior. Valentin lebte. Nichts sonst zählte. Und bald hatte auch er seine Schuld abgezahlt. Er lag in der Beuge von Balduins Körper wie eine Auster in der Schale, spürte seine langen, schmalen Schenkel hinter seinen Beinen und den mageren Brustkorb an seinem Rücken. Ein weißer Arm mit bemerkenswert schwarzen Haaren senkte sich über ihn und zog ihn näher zu sich. Der Prior vergrub seine Hände in Kilians Locken, die nach dem Scheren der Tonsur und dem Schnitt des Haupthaars jedes Mal viel zu schnell und ungebändigt nachwuchsen. Noch vor einigen Jahren hätte er sich einen Vater gewünscht, der ihn in den Arm nahm, doch was sie taten, hatte mit der Liebe zwischen Vater und Sohn nichts zu tun.
    Es musste noch vor Mitternacht sein, im Zenit der dunklen Stunden, in denen die Mönche schlafen durften. Die Öllampe auf dem gedrechselten Holztisch flackerte im Luftzug. Balduins Zelle war behaglicher als die Unterkünfte seiner Mönche. Auf dem Boden lag ein dicker Teppich, den ihm ein Händler aus Venedig mitgebracht hatte. Er kam von Gott weiß woher, aus Persien, dem Heiligen Land oder Arabien, durch dessen Wüste solche Pferde stoben, wie der burgundische Glasmaler eines besaß. Balduins Sessel stand vor dem Tisch, und daneben hatte er seine Truhe voller Bücher platziert. Griechische Bücher, die sie miteinander gelesen hatten, intellektuell auf Augenhöhe. Niemand außer Kilian ahnte, dass Balduin Abschriften von Büchern als persönliches Eigentum besaß, die noch vor dem Wirken des Heilands auf Erden geschrieben worden waren. Vielleicht kamen sie sogar aus der Bibliothek von Alexandria. Auf dem Teppich, blau, rot, grün, mit seinen Mustern von Pfauen und Blumen, war es das erste Mal passiert. Während der Prior von hinten in ihn stieß, hatte Kilian die Muster betrachtet, die kompliziert verschlungenen Kreise, die Vögel, Spiralen und Blumen. Sie waren wirkliche Künstler, die Orientalen. Und dann noch

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