Die Himmelsmalerin
dem Gang Stimmen hörte.
»Oh, Mist!«, schimpfte Lena. »Jetzt verpasse ich das Treffen mit Berthe.«
Valentin sah beinahe vor sich, wie sie ihre Stirn runzelte und die Augenbrauen zusammenzog. Das tat sie immer, wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie wollte.
»Was ist wichtiger«, fragte Lionel amüsiert. »Dass dein Freund überlebt hat oder dass du dich mit der Hure triffst?«
»Hm. Vielleicht schaffe ich es ja noch, wenn ich mich beeile.«
Ihr leichter Schritt entfernte sich. Kaum einen Moment später stand Lionel in der Sakristei und näherte sich langsam der Madonna.
»Darf ich?«
Wäre Valentin doch nur etwas schneller gewesen und hätte ihr das Leintuch wieder über den Kopf gezogen! Trotz der Hitze, die ihm in Wangen und Ohren stieg, nickte er widerwillig.
Lionel stellte sich vor seine Arbeit, legte die Hände auf dem Rücken zusammen und betrachtete sie lange.
»Sie ist gut«, sagte er schließlich leise und ohne sich umzudrehen.
»Hmm«, machte Valentin, freute sich aber trotzdem über das Lob.
»Ziemlich gut sogar. Aber dieses Gesicht ….« Schalk schwang in seiner Stimme mit. »Es erinnert mich an jemanden.«
»Tatsächlich?« Er hatte sie verfremdet, so gut es ging. Es war kein Porträt, wirklich nicht. Niemand in der Stadt sollte sie erkennen. Aber er hatte ihr den passenden Ausdruck gegeben, voller Eigensinn, Humor und Kraft, mit der sie ihre Umgebung wärmte wie eine Sonne.
»Du musst sie sehr lieben.«
Valentin fühlte, wie sich die Röte in seinem Gesicht vertiefte, und sagte leise: »Du auch.« Der Glasmaler nickte und ging.
In der Nacht streckte das Fieber seine Klauenhand nach Kilian aus. Noch immer ohne Bewusstsein, wälzte er sich auf Valentins schmaler Pritsche hin und her und schwitzte die Leintücher durch. Als Valentin ihm seine durchgeschwitzte Kutte abstreifen wollte, schreckte er vor der Hitze seiner Haut zurück, die glühte, als hätte jemand darunter ein Feuer geschürt. Er zuckte zurück, als er den Hanfgurt um Kilians Bauch sah, unter dem die Haut rau und aufgerieben war.
»Er hat sich schon eine Weile kasteit«, sagte Thomas nachdenklich. »Wieder ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt.« Entschlossen säbelte er den Strick mit einem Messer durch.
»Das wissen wir ja jetzt«, murmelte Valentin. »Aber ich frage mich, warum er nicht endlich aufwacht, damit wir ihn fragen können, was ihn dazu getrieben hat.«
»Mich überrascht das Fieber nicht.« Thomas holte einen Stoffstreifen aus einem Wassereimer, den Valentin mit frischem Brunnenwasser gefüllt hatte, wrang ihn aus und legte ihn dem Novizen auf die Stirn. »Er ist nicht nur äußerlich schwer verletzt. Auch seine Seele leidet und drückt das durch die glühende Hitze aus.«
»Er hat Angst, zu sich zu kommen?«
»Er lässt sich die Zeit, die er braucht.«
Valentin griff nach der heißen, trockenen Hand, die auf der Bettdecke lag. »Was glaubt Ihr, Vater, wird ihn das, was er getan hat …« Der Gedanke quälte ihn, seit sie Kilian am Nachmittag gebracht hatten. Thomas richtete seine kühlen, grauen Augen abschätzend auf ihn. »Was willst du fragen, mein Sohn?«
Er flüsterte. »Wird ihn das seine ewige Seligkeit kosten?«
»Was glaubst du?«
»Ich weiß es nicht. Und wenn ich darüber nachdenke, fange ich an, Gott in Zweifel zu ziehen.«
»Wie jeder von uns manchmal.« Thomas lachte leise. »Aber sag, Valentin, was ist Gott für dich – der strenge Richter oder der liebende Vater, der seinen Sohn auf die Welt geschickt hat, um uns zu erlösen?«
»Keine Ahnung.« Hin und wieder machte er sich zwar Gedanken über Gott, aber zu wirklichen Erkenntnissen war er noch nicht gekommen. »Ich dachte, so etwas weiß Kilian am besten. Aber vielleicht stimmt das gar nicht.«
»Werde dir selber klar, Valentin. Das Denken nehmen dir die Vertreter der Kirche nämlich nicht ab, egal, was man dich gelehrt hat. Und jetzt …« Bruder Thomas erhob sich vom Bettrand, »… wollen wir mal sehen, ob wir das Fieber herunterbekommen. Dafür werde ich dem Kranken zuerst einen Weidenrindentee aus den Vorräten Frau Renatas aufbrühen. Wenn er Kilian Linderung verschafft hat, reicht es bei mir vielleicht für die Prim, auch wenn meine Mitbrüder meine Stimme beim Wechselgesang durchaus nicht vermissen werden.«
»Geht nur«, sagte Valentin. »Ich bleibe bei ihm.«
Der Weidenrindentee senkte das Fieber zwar, verhinderte aber nicht, dass Kilian von Alpträumen geplagt wurde. Gegen Morgen wurden die dunklen Träume so
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