Die Himmelsmalerin
nehmen, die Kehle zerfetzt hatte? Panik ergriff ihn. Er saugte den rettenden Lebensstrom wie durch einen Strohhalm in seine Lun- gen, unendlich mühsam und immer zu wenig. Die roten Schlieren vor seinen Augen wurden intensiver, verfärbten sein Blickfeld.
Da hörte er Stimmen, eine hohe und eine tiefere.
»Der Birnbaum, da ist er. Er hat die süßesten Birnen in ganz Esslingen. Den wollte ich dir zeigen.«
Hatte Gott seine Engel geschickt, um ihn doch noch von den Schmerzen des Fleisches zu erlösen? Oder kamen die Boten gar von der anderen Seite, die ihn in die ewige Verdammnis ziehen wollte, wo er zweifellos hingehörte? Die beiden stritten miteinander, was die zweite Alternative wahrscheinlicher machte, auch wenn sie sich sicher mehr über einen Apfelbaum mit Schlange gefreut hätten.
»Aber du kannst nicht zu diesem Treffpunkt gehen«, sagte die tiefere Stimme.
»Natürlich kann ich, und versuch ja nicht, mir noch einmal irgendetwas zu befehlen«, keifte die höhere.
»Aber diese Berthe, diese … Pétasse!«
»Na und, dann ist sie eben eine Hure. Da pfeif ich doch drauf.«
Oh, verdammt! Er kannte zumindest eine der Stimmen. Sie war höchst irdisch, und beide kamen näher. Kilian fehlte die Kraft, um sich zu verkriechen.
»Madeleine!«, sagte die warme, tiefe Stimme, in der ein kaum hörbarer Akzent mitklang. »Wir müssen uns außerdem überlegen, wie du aus deiner Verlobung heraus… Diable! «
Aha, dachte Kilian.
Die Stimme stockte entsetzt, und Kilian hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Im nächsten Augenblick war Lena neben ihm und flüsterte seinen Namen.
27
Die Mönche waren gerade zum abendlichen Stundengebet in der Kirche, als es an der Klosterpforte polterte, als ob jemand die Tür einschlagen wollte.
Streuner bellte und knurrte tief im Hals. Valentin räumte gerade die Sakristei auf, in der die fertige Madonna auf einem Steinsockel stand, anmutig, wunderschön. Noch einmal rummste es gegen die Tür, dass die Wände wackelten. Aus dem Chor der Kirche erklang der mehrstimmige lateinische Wechselgesang der Psalmen, der anzeigte, dass die Mönche noch eine Weile mit der Vesper beschäftigt sein würden und der Bruder Pförtner wahrscheinlich mal wieder nichts hörte.
»Also gut!«, brummte er und lief, Streuner an den Fersen, in Richtung Pforte, wo dem uralten Pater das Kinn auf die Brust gesunken war.
»He, Bruder Nepomuk!« Er rüttelte den Alten leicht an der Schulter, der unbekümmert weiterschnarchte.
»Beeilt Euch!«, rief draußen eine hohe Stimme, die er sehr gut kannte. Schnell öffnete er die Klappe im oberen Drittel der Tür, die einem vorab Gewissheit über ungebetene Besucher verschaffte. Wie er vermutet hatte, stand da Lena, verschwitzt und blass um die Nase, neben ihr Lionel und zwischen ihnen ein Dominikaner, den er zwar nicht erkennen konnte, weil ihm die Kapuze seines schwarzen Mantels übers Gesicht gerutscht war, der ihm aber vage bekannt vorkam.
»Ist das …«
»Ja, verdammt. Nun mach schon auf! Und hol Bruder Thomas!«
Er öffnete die Pforte, und sie bugsierten Kilian hinein.
»Ist er bewusstlos?«, fragte er begriffsstutzig.
»Sonst würde er sicher nicht so herumhängen«, schimpfte Lena.
Sie zogen Kilian in den Pfortenraum. Um Lena abzulösen, legte sich Valentin Kilians Arm um den Nacken und merkte, dass sein schmal gebauter Freund ziemlich schwer sein konnte, wenn er nicht bei sich war. »Er ist aber doch nicht …?« Tot wollte er sagen, aber das Wort kam ihm nicht über die Lippen.
»Ich glaub nicht!« Sie stützte sich völlig außer Atem an der Wand ab. »Wir haben uns so beeilt, und jetzt kann … ich … nicht … mehr.«
»Er ist uns erst innerhalb des Tors richtig weggekippt«, sagte Lionel leise. Bruder Nepomuk, der bei dem Lärm nicht weiterschlafen konnte, blickte verwirrt von einem zum andern und fragte nach dem Abendessen.
»Die ganzen Hänge runter hat Lionel ihn getragen«, erklärte Lena.
Weil Valentin jetzt Kilian stützte, machte sie sich selbst in Richtung Krankenstube auf und erklärte dem entsetzten Bruder Thomas alles Nötige. Als Valentin die schnellen Schritte des Infirmarius im Gang hörte, hing Kilian noch immer wie ein nasser Sack zwischen ihm und dem unerschütterlichen Lionel. Thomas erfasste die Lage sofort.
»Wir müssen ihn in deine Zelle schaffen, Valentin. Nimm seine Füße!«, sagte er entschlossen. »Ihr, Meister Lionel, packt unter den Schultern an! Und stolpert nicht über den Hund!«
Zuerst hatte
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