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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gleichzeitig mit einer herrischen Geste, ihr zu folgen. »Komm mit!«
    Sie verschwand mit so raschen Schritten in der Dunkelheit, dass Arri alle Mühe hatte, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie war vollkommen aufgewühlt. Hinter ihrer Stirn überschlugen sich die Gedanken. Ihre Mutter hatte Dragosz erschlagen, den vielleicht einzigen Menschen auf der Welt, der noch ihr Freund gewesen war, oder zumindest nicht ihr Feind, und das nur, weil sie zu feige gewesen war, einen winzigen Fehler zuzugeben, oder - schlimmer noch -Spaß an ihrer albernen Heimlichtuerei gehabt hatte!
    Wenn Dragosz tot war, wenn ihre Mutter ihn tatsächlich erschlagen hatte, weil sie ihn in der Nacht für jemanden gehalten hatte, der sich an ihr Lager anschlich, dann war es ganz genau so, als hätte Arris eigene Hand das Schwert geführt.
    Sie bewegten sich ein gutes Stück weit in die Dunkelheit hinein, und so sehr sich Arri auch anstrengte, gelang es ihr doch nicht, wirklich zu ihrer Mutter aufzuschließen. Erst, als Lea schließlich langsamer wurde und dann ganz stehen blieb, holte sie sie ein. Ihr Blick irrte fahrig über den mit dürrem Gras und Steinen übersäten Boden, und ihr Herz begann schon allein bei der Vorstellung wie wild zu hämmern, Dragosz' reglos ausgestreckten Körper zu erblicken. Aber da war nichts. Nur Gras und Steine und knorrige Wurzeln, die wie verkrüppelte Finger aus dem Boden herausgriffen.
    »Nun?«, fragte Lea. »Bist du zufrieden - oder hast du irgendetwas anderes erwartet? Etwas ganz Bestimmtes?«
    Arri hätte den lauernden Unterton in der Stimme ihrer Mutter nicht einmal hören müssen, um zu begreifen, dass hier nicht nur etwas völlig anders war, als sie erwartet hatte, sondern Lea auch spätestens jetzt wissen musste, dass es da etwas gab, was ihre Tochter ihr offensichtlich vorenthalten hatte. Verstört drehte sie sich einmal im Kreis und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen, aber sie gewahrte auch jetzt nichts anderes als knorrige Schatten und fast baumlose Umrisse, die zweifellos natürlichen Ursprungs waren. Dann aber spürte sie doch etwas. Ein ganz leiser, aber bezeichnender Geruch lag in der Luft, so schwach, dass sie ihn nur spürte, weil er nicht hierher gehörte und etwas ungemein Alarmierendes mit sich brachte.
    »Blut«, flüsterte sie.
    Lea nickte. Ohne, dass Arri sie ansehen musste, spürte sie, dass sich ihr Gesichtsausdruck noch weiter verfinsterte. Sie sagte nichts, winkte Arri aber mit einer knappen Geste vollends zu sich heran und ließ sich in die Hocke sinken. Als Arris Blick ihrer Bewegung folgte, sah sie einen dunklen, noch feucht glänzenden Fleck im Gras. Lea wiederholte ihre auffordernde Geste, und Arris streckte gehorsam die Hand danach aus, wagte es aber schließlich doch nicht, ihn zu berühren. Der Geruch wurde noch stärker. Es war Blut. Eine Menge Blut, das hier geflossen war.
    »Ich weiß nicht, was hier passiert ist«, sagte Lea leise. Arri hielt den Blick weiter auf den in der Nacht schwarz aussehenden Blutfleck im Gras gerichtet, aber sie konnte fast körperlich spüren, wie misstrauisch ihre Mutter sie anstarrte. »Ich habe Geräusche gehört. Einen Kampf. Aber als ich hergekommen bin, war niemand da.« Ihre freie Hand machte eine flatternde Bewegung. Arris Blick folgte ihr, und sie entdeckte weitere und noch größere Blutflecken, eine Spur, die von einer Fährte aus zertrampeltem Gras und geknickten Wurzeln flankiert wurde und in der Dunkelheit verschwand. »Anscheinend hat es einen Kampf gegeben«, fuhr Lea fort. Was eine Erklärung war, klang wie eine Frage, und ihre misstrauischen Blicke schienen nun wie Feuer auf Arris Haut zu brennen. »Wer immer es war, muss schwer verletzt worden sein. Vielleicht wurde er weggetragen. Ich weiß nicht, von wem oder warum. Weißt du es vielleicht?«
    »Nein«, antwortete Arri. Sie war fast entsetzt über ihre eigene Antwort. Warum tat sie das? Warum gestand sie nicht spätestens jetzt, was gestern geschehen war? Ihre Mutter würde nicht erfreut sein, aber ihr - berechtigter - Zorn würde so nur noch weiter zunehmen, mit jedem Moment, den Arri verstreichen ließ, ohne ihr endlich die Wahrheit zu sagen. Und dennoch hörte sie plötzlich ihre eigene Stimme wie die einer Fremden antworten: »Ich. ich dachte. es. es wäre.«
    »Ja?«, fragte Lea lauernd.
    Arri fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und folgte der Spur aus Blut und aufgewühlter Erde ein paar Schritte weit, bevor sie wieder stehen blieb.

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