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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wahrscheinlich das letzte Mal vor ein paar Sommern, als sie über Gebühr verspätet von einem Besuch in Goseg zurückgekehrt war, weil sie angeblich auf dem Rückweg noch tagelang in einem Nachbardorf aufgehalten worden war. Arri hatte diesen Vorfall schon fast vollständig vergessen, doch jetzt fiel er ihr nicht nur wieder ein, sondern bekam auch eine ganz andere Bedeutung. Offensichtlich hatte ihre Mutter ihr all die Jahre mehr Dinge vorenthalten, als sie auch nur im Entferntesten geahnt hatte.
    Sie verzichtete darauf, Lea darauf anzusprechen - schließlich hatte sie selbst ihrer Mutter auch die eine oder andere Kleinigkeit verschwiegen - und konzentrierte sich stattdessen lieber darauf, sich bei der gleichermaßen holprigen wie rasanten Fahrt so abzustützen, dass sie nicht aus dem Wagen fiel. Mehr als einmal mussten sie umkehren und einen großen Umweg in Kauf nehmen, wenn sich die Strecke als zu schwierig für den Wagen erwies, und auch wenn Lea ihr Bestes tat, sich ihre wirklichen Gefühle nicht anmerken zu lassen, so spürte Arri doch, dass sie in zunehmendem Maße unruhiger wurde. Als die Sonne zu sinken begann, trieb sie die Pferde immer unbarmherziger und rücksichtsloser an, was Arri, die ja wusste, dass ihre Mutter ein ganz besonderes Verhältnis zu diesen Tieren hatte, mehr als alles andere davon überzeugte, dass sie in Gefahr waren; oder dass Lea es zumindest annehmen musste.
    Mit dem letzten Licht der untergehenden Sonne lenkte Lea das Gespann einen zwar sanften, aber sehr lang ansteigenden und mit einem Gewirr aus Felstrümmern und Findlingen übersäten Hang hinauf, dessen oberes Ende sie gerade in dem Augenblick erreichten, in dem die Sonne endgültig unterging. Rings um sie herum herrschte noch ein Rest von grauem Zwielicht, das einen die Umrisse der Dinge mehr erahnen als wirklich erkennen ließ und in dem es beinahe schwerer war, sich zu orientieren, als bei tatsächlicher Dunkelheit, aber vor ihnen fiel der Hang ebenso steil wieder ab, wie er auf der anderen Seite angestiegen war, und in dem tief eingeschnittenen Tal, das sich unter ihnen erstreckte, herrschte bereits tiefste Nacht. Dennoch gab es Licht dort unten. Nicht einmal allzu weit entfernt gewahrte Arri eine Anzahl winziger flackernder roter Punkte, wie Leuchtkäfer, die auf der Stelle tanzten, und der charakteristische Geruch von brennendem Holz schlug ihr entgegen. Da waren auch Geräusche, aber sie waren zu schwach, um sie eindeutig zuzuordnen.
    »Ist es das?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete Lea. »Nur noch ein kleines Stück, und wir haben es geschafft.« Falls diese Worte aufmunternd oder beruhigend gemeint waren, so verfehlten sie ihre Wirkung vollständig. Lea klang unsicher und fahrig, und was ein Seufzer der Erleichterung hatte werden sollen, geriet eher zu einem Stoßgebet, als rechne sie fest damit, dass ihnen das Schicksal oder irgendeine andere boshafte Macht zuletzt doch noch einen Streich spielen würde.
    Arri hütete sich, auch nur eine entsprechende Bemerkung zu machen, und sie hatte sich sogar gut genug in der Gewalt, um sich nicht auf dem Kutschbock umzudrehen und einen besorgten Blick in die Richtung zurückzuwerfen, aus der sie gekommen waren. Doch im nächsten Augenblick tat ihre Mutter ganz genau das, was sie sich gerade verboten hatte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war vielleicht noch nicht ganz der von Angst, aber er war nicht mehr sehr weit davon entfernt.
    Als sie weiterfuhren und Kurs auf den Schwarm roter Glühwürmchen unter ihnen nahmen, trieb sie die Pferde zu einer Geschwindigkeit an, die vielleicht nicht einmal besonders hoch war, angesichts der fast völligen Dunkelheit und des Gewirrs aus Felsen, Schutt und gefährlichen Wurzeln und Löchern im Boden aber geradezu mörderisch. Der Wagen schaukelte so heftig hin und her, dass Arri sich mit aller Kraft an der schmalen Sitzbank festklammern musste und es ihr fast wie ein kleines Wunder vorkam, dass sie nicht den größten Teil ihrer Ladung verloren. Der Weg hinunter dauerte auf diese Weise nur wenige Augenblicke, doch als sie endlich wieder über halbwegs ebenen Boden rollten und aus ihrem Schwarm tanzender roter Geister vor ihnen eine gerade Reihe regelmäßiger rechteckiger Flecke geworden war, die kaum noch einen Steinwurf entfernt sein konnten, atmete sie so erleichtert auf, als wäre sie den halben Tag von Wölfen durch den Wald gehetzt worden und hätte endlich die Sicherheit menschlicher Behausungen erreicht.
    Auch Lea gestattete es sich, sich

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