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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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daran hatte sich nach Sonnenuntergang nichts geändert. Die Dunkelheit ringsum wäre vollkommen gewesen, hätte es nicht die hell erleuchteten Fenster gegeben, und Arri fragte sich, ob sie den Grund für die so gefährliche Hast, in der sie diese letzte Wegstrecke zurückgelegt hatten, nicht falsch eingeschätzt hatte. Wenn es etwas gab, worauf sich ihre Mutter wirklich verstand, dann war es das Wetter. Möglicherweise hatte sie gewusst, wie bedeckt der Nachthimmel sein würde, und deshalb alles getan, damit sie ihr Ziel noch vor Einbruch einer Dunkelheit erreichten, die tatsächlich vollkommen war; auf jeden Fall zu stark, als dass sie nach Sonnenuntergang noch nennenswert hätten weiter fahren können.
    Auch im roten Streulicht, das aus den Fenstern und der offen stehenden Tür drang, konnte sie wenig von dem riesigen Haus erkennen. Immerhin sah sie, dass es sich nicht nur in seiner Größe und durch die ungewöhnlichen Fenster vollständig von den Hütten ihres Heimatdorfes unterschied. Seine Wände bestanden bis auf Hüfthöhe aus zwar groben, aber kunstvoll zusammengefügten Steinen und Felsbrocken, die mit Lehm oder nasser Erde verschmiert worden waren, um Kälte und Feuchtigkeit draußen und die Wärme des Feuers drinnen zu halten. Darüber war das Haus aus Holz und einem Gemisch aus Baumrinde und Blättern erbaut, dessen Ritzen aber ebenfalls sorgsam verschmiert und abgedichtet worden waren, und zu beiden Seiten der Fenster hingen dicke Bretter von jeweils der exakten Größe eines halben Fensters, die man wohl vor die Öffnung klappen konnte. Arri hatte so etwas noch nie gesehen, erinnerte sich dann aber vage daran, dass ihre Mutter ihr einmal von Fensterläden erzählt hatte, die in ihrer alten Heimat üblich gewesen waren, um Feuchtigkeit und Kälte aus den Häusern auszusperren.
    Hier zumindest schien niemand die Notwendigkeit dazu zu sehen. Obwohl es bitterkalt war, waren die Läden ausnahmslos an den Seiten eingehakt. Nicht nur der Geruch nach brennendem Holz und Torf und ein Durcheinander von Stimmen und anderen Lauten drangen zu Arri heraus, sondern auch ein Schwall trockener Wärme, der sie die beißende Kälte, die der Dämmerung auf dem Fuße gefolgt war, doppelt schmerzhaft spüren ließ.
    Sie sah wieder zu ihrer Mutter hin. Lea unterhielt sich weiter und heftig gestikulierend mit dem Fremden. Arri hoffte, dass die beiden sich möglichst rasch einig würden, bevor sie hier oben auf dem Kutschbock erfror.
    Unruhig rutschte sie auf dem harten Holz der Bank hin und her, das sich mittlerweile so kalt wie Eis anfühlte. Der Hund, der ihrer Mutter nicht gefolgt war, sondern noch immer auf der anderen Seite des Wagens stand, stellte sich auf die Hinterläufe, wodurch er spielend seine gewaltigen Vordertatzen auf die Sitzbank neben ihr legen konnte, und beäugte sie misstrauisch. Eingedenk dessen, was Arri gerade beobachtet hatte, wollte sie ganz instinktiv die Hand ausstrecken, um ihn zu streicheln - sie mochte Hunde über alles und hatte nie verstanden, warum ihre Mutter nicht wollte, dass auch sie zumindest einen Hund hatten -, prallte aber dann im allerletzten Moment erschrocken zurück, als sie genauer hinsah und feststellte, dass der Hund kein Hund war. Es war ein Wolf. Er war nicht so groß wie der, der sie im Wald angefallen hatte, und so gut genährt und gepflegt, dass er auf den ersten Blick tatsächlich als Hund durchgehen konnte, aber auch wirklich nur auf einen sehr flüchtigen ersten Blick.
    Der Wolf legte die Ohren an, fletschte die Zähne und stieß ein leises, drohendes Knurren aus, als er ihre Angst spürte, und der Mann bei der Tür unterbrach sein Gespräch mit Lea und rief einen einzelnen, scharfen Befehl, auf den hin sich das Tier sofort zurückzog und gehorsam an seine Seite trottete. Arri blickte ihm aus ungläubig aufgerissenen Augen nach. Was waren das für Leute, die sich Wölfe als Haustiere hielten?

20
    Es verging noch eine geraume Weile, bis sich ihre Mutter endlich umdrehte und zu ihr zurückkam. »Du kannst herunterkommen. Es ist alles in Ordnung. Wir können heute Nacht hier bleiben.«
    »Und das hat so lange gedauert?«, erwiderte Arri. »Ich dachte, diese Leute wären deine Freunde.«
    »Das sind sie auch«, sagte Lea unwirsch. »Aber das heißt nicht, dass man unangemeldet und zu jeder Zeit einfach zu ihnen kommen kann.«
    Das verwirrte Arri nun völlig. Das Gesetz der Gastfreundschaft war heilig. Nicht einmal Sarn, da war sie sicher, würde einen Fremden abweisen, der

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