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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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deutlicher und klarer als jemals zuvor, denn sie waren sich auch noch nie so nahe gewesen. Er war schmutzig. Der kalte Schweiß, der auf seinem Gesicht eingetrocknet war, und das bleiche Licht des Nachthimmels ließen ihn kränklich und müde aussehen, aber Arri erkannte trotzdem, dass er deutlich jünger war, als sie bisher angenommen hatte.
    Das Fehlen eines wild wuchernden Bartes, das sein Gesicht so fremdartig und faszinierend zugleich erscheinen ließ, machte es ihr vollkommen unmöglich, sein Alter auch nur zu schätzen; dennoch war sie plötzlich sicher, dass er ihrem Alter weit näher war als dem ihrer Mutter. Und noch etwas bewirkte dieser Blick: Er machte ihre Frage nahezu überflüssig. Plötzlich wusste sie, warum ihre Mutter diesen Fremden nicht nur verschont, sondern sich auch mit ihm eingelassen hatte. Da war etwas in seinem Gesicht, vielleicht in seinen Augen, was sie auf eine unmöglich in Worte zu fassende Weise anzog. Vielleicht war es das Fremdartige an ihm, aber vielleicht war da auch noch mehr, und was immer es war - Arri war sicher, dass es ihrer Mutter ganz genau so ergangen sein musste.
    Arri fragte sich im Stillen, was wohl geschehen wäre, hätte Dragosz zuerst sie und nicht ihre Mutter getroffen. »Wohin wirst du uns bringen?«, fragte sie laut.
    Dragosz zögerte eine Antwort hinaus. Seine Finger streichelten weiter ihre Wange, fuhren nun aber auch sanft an ihrem Hals hinab und wieder herauf. »Zuerst einmal in unser Lager«, sagte er schließlich.
    »Zuerst?«, fragte Arri. »Und. dann?«
    »Wohin auch immer wir gehen.«
    Das verstand Arri nicht. »Was soll das heißen - wohin auch immer ihr geht?«
    »Mein Volk ist auf der Suche nach einer neuen Heimat«, erwiderte Dragosz. Seine Fingerspitzen streichelte jetzt ihren Nacken, was kitzelte, zugleich aber auch einen wohligen Schauer auslöste, der durch Arris ganzen Körper rann. »Ich weiß noch nicht, wohin uns das Schicksal und der Wille der Götter führen werden. Niemand weiß es.«
    »Warum habt ihr eure alte Heimat verlassen?«, wollte Arri wissen. »Seid ihr vertrieben worden?«
    Ein rasches, bitteres Lächeln huschte über Dragosz' Lippen und erlosch ebenso schnell wieder, wie es gekommen war. »Ja, so könnte man es nennen.«
    »Was meinst du damit?« Arri richtete sich nun doch ein winziges Stück auf, um ihm direkt ins Gesicht sehen zu können. Dragosz' Worte verwirrten sie, aber sie beunruhigten sie auch ein kleines bisschen. Immerhin hatte dieser Mann es zweimal mit drei Gegnern gleichzeitig aufgenommen und diese Kämpfe nicht nur überlebt, sondern auch noch seine Gegner verwundet und einen, Grahls älteren Bruder Ans, bei dem angeblichen Überfall durch eine feindliche Horde, die er in Wirklichkeit ganz allein gewesen war, erschlagen. Sie konnte sich keinen Feind vorstellen, der ein Volk zu besiegen vermochte, das über so mächtige Krieger verfügte.
    »Die Götter waren gegen uns«, sagte Dragosz. »Einst waren wir ein sehr mächtiges und stolzes Volk. Wir waren viele, und wir mussten keinen Feind fürchten. Aber das ist lange her. Zu der Zeit, als ich noch ein Kind war, brachten unsere Jäger reiche Beute nach Hause, in den Wäldern gab es Früchte und Beeren und Wurzeln, so viel wir nur brauchten, und die Ernten waren gut und so reichlich, dass wir Handel mit unseren Nachbarn treiben konnten. Jedenfalls hat man es mir so erzählt. Aber dann wurden die Winter länger und die Sommer heißer. Das Korn begann auf den Feldern zu verdorren, bevor es eingebracht werden konnte, die Flüsse führten weniger Wasser und hatten weniger Fische, und das Wild wanderte fort. Wir konnten nicht bleiben. Viele sind gestorben, in den letzten Jahren, und noch mehr wären ihnen gefolgt, wären wir im Land unserer Vorfahren geblieben. Also suchen wir eine neue Heimat.« Er lächelte traurig. »Siehst du - so einfach ist das.«
    Seine Worte berührten Arri auf eigenartige Weise. Auch wenn sich seine Geschichte im ersten Moment so vollkommen anders anhörte, so ähnelte sie doch der, die ihre Mutter ihr erzählt hatte. Sie beide hatten ihre Heimat verloren, und im Grunde war es gar kein so großer Unterschied, dass Leas Welt in einer einzigen Nacht und in Feuer und Sturm untergegangen war, während die, aus der Dragosz und die Seinen stammten, einen stillen und schleichenden Tod gestorben war. Sie beide waren Heimatlose auf dem Weg in eine Ungewisse Zukunft. Vielleicht war es ja das, dachte sie, was Dragosz und ihre Mutter verband. Aber wenn dem

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