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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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darauf hofften, dass er ihnen den Willen der Götter mit verständlichen und zuversichtlichen Worten deutete.
    »Die schwarzen Vögel der Abendsonne sind dorthin abgebogen«, sagte er nach einer ganzen Weile, und wies mit dem Finger über die Baumwipfel. »Von meinem Steinkreis aus gesehen müsste ziemlich genau dort Urutark liegen – das Land unserer Urväter, das sie verlassen mussten, als die große Kälte kam.« So erzählt man es sich zumindest seit Generationen, hätte er noch hinzufügen können. Und ich hoffe wirklich, dass das auch stimmt – aber ich weiß es nicht. Die alten Überlieferungen lassen sich auf vielfältige Weise erklären, und vielleicht haben weder mein Bruder noch ich sie richtig zu deuten verstanden.
    Natürlich behielt er diesen Gedanken für sich, so wie er ihn auch schon die unzähligen Male zuvor für sich behalten hatte, wenn er mit großer Überzeugung all jenes wiedergegeben hatte, was die Schamanen über unzählige Generationen hinweg überliefert hatten.
    »Was sind das für welche?«, fragte Bakan, »die schwarzen Vögel der Abendsonne?«
    »Nun …«, Zakaan deutete mit seinem Stock in den trügerisch ruhigen Himmel hinauf, »bevor das Eis kam und die großen Rentierherden durch die schneebedeckte Landschaft zogen, waren die Länder der aufgehenden und der untergehenden Sonne vereint. Dann aber beschlossen die Götter, das Land und die Völker zu trennen. Unser Volk war aus dem Westen aufgebrochen, um neue Jagdgründe zu suchen, und über ihnen zogen Schwärme von Krähen dahin, so heißt es. All diese Krähen hatten die gleiche Farbe: Sie waren schwarz.«
    »Aber Krähen sind doch nicht vollkommen schwarz«, wandte Bakan ein. »Sie sind eher grau. Und schwarz. Und manchmal auch ein bisschen weiß, am Hals.«
    »Ja.« Zakaan ließ den Stock wieder sinken und begann loszuhumpeln. »Manchmal sind sie auch ein bisschen weiß. Das kommt durch den Schnee – sagt man. Die Götter haben sie deswegen heller gemacht.«
    »Und als der ewige Schnee fort war, haben sie sie wieder dunkler gemacht«, folgerte Bakan.
    Der Schamane nickte knapp. »Möglicherweise. Dabei haben sie allerdings die Krähen, die hier geblieben sind, gleich dunkler gelassen. Und als Schnee und Eis dann wieder wichen und die Rentierherden weiterzogen und das Rotwild zurückkehrte – da gab es plötzlich sowohl die grau-schwarzen Krähen des Ostens als auch die nachtschwarzen Krähen des Westens. Irgendwann, noch bevor die große Wärme kam, sind sie sich dann wieder begegnet. Und für uns war das das Zeichen, dass wir in das Land unserer Vorväter zurückkehren konnten.«
    »Weil es dort jetzt kälter ist als bei uns zu Hause«, Bakans kleine Hand stahl sich in Zakaans freie Hand, »und wir damit der großen, schlimmen Hitze entgehen können, die alles verbrennt.«
    Die große, schlimme Hitze, dachte der Schamane. Ja, der Junge hatte recht. Es war eine große, schlimme Hitze, die Dragosz dazu gebracht hatte, den weiten Weg in den Westen auf sich zu nehmen und dort nach dem Land ihrer Ahnen zu suchen. Schlimm war aber nicht nur die Hitze gewesen, sondern auch, dass Dragosz zurückgekehrt war, um seinem Bruder die Frau wegzunehmen, und schon bald darauf auch einen Großteil seines Volkes. Es wäre so viel vernünftiger und besser gewesen, wenn sie alle gemeinsam unter Ragoks Führung nach Urutark aufgebrochen wären!
    Warum nur hatte Dragosz diesen Wahnsinn begangen und sein eigenes Volk in der Zeit der größten Not gespalten? Er war doch so ein netter Junge gewesen – gar nicht mal so verschieden von dem kleinen Bakan jetzt.
    Als wollte Bakan seine Gedanken Lügen strafen, zerrte er plötzlich so heftig an seiner Hand, dass Zakaan fast ins Stolpern geraten wäre. »Nicht ganz so schnell«, knurrte der Schamane missmutig.
    »Entschuldige«, flüsterte Bakan, während er in lächerlich kleine Trippelschritte verfiel, um Zakaan nicht zu ungestüm mit sich zu ziehen. »Ich dachte nur, wir sollten nicht so langsam sein.«
    »Und warum nicht?«
    »Die Krähen machen mir Angst«, hauchte Bakan. »Es sind böse Vögel!«
    Zakaan nickte. Ja. Der Junge hatte es also auch gespürt: Das waren keine gewöhnlichen Krähen. Irgendetwas war an ihnen gewesen, das sie beide gestreift hatte: wie der Schatten einer dunklen Wolke; etwas Böses und Finsteres, fast so wie das Versprechen, dass ihnen eine schreckliche Prüfung bevorstand. Und die, dachte der Schamane, während ihm ein eiskalter Schauer den Rücken herunterrann, hat etwas

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