Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Jungen, und er begriff, dass er stärker schwankte, als es ihm selbst aufgefallen war. Mit mühsamen, zittrigen Bewegungen setzte er einen Fuß vor den anderen und zwang sich zu einer gleichmäßigen Schrittfolge, bis er die große Ulme endlich erreichte, die er sich schon vorher zum Ziel auserkoren hatte. Er streckte die rechte Hand vor und stützte sich an ihrem rissigen Stamm ab. Jeder Baum konnte Kraft an denjenigen abgeben, der es verstand, seine ureigenste Energie zu erfühlen.
Zakaan war dazu imstande. Er legte auch noch die linke Hand auf den Stamm, und augenblicklich hatte er das Gefühl, als durchströme ihn durch die Rinde hindurch jene uralte, stets verlässliche Kraft, die ihn sein ganzes Leben über getragen hatte, wenn es darauf ankam: Die Kraft, die in allem Natürlichen steckte und sich jedem anbot, der offen für sie war.
Er atmete tief ein und aus, und versuchte dann mit der linken Hand nach dem Eichenstock zu greifen, den er an die Ulme gelehnt hatte: Aber Bakan war schneller. Zakaan hatte gar nicht bemerkt, dass der Junge leichtfüßig herangelaufen war. Doch jetzt spürte er, wie ihm der Kleine wie selbstverständlich den Stock in die Hand drückte und so lange wartete, bis sich seine gichtigen Finger darum schlossen, bevor er rasch wieder einen Schritt zurücktrat. Zakaan löste seinen Blick einen Herzschlag lang von dem Vogelschwarm und schenkte dem Jungen ein dankbares Lächeln – was aber eher wie eine Grimasse wirkte, denn Bakan huschte rasch ein paar weitere Schritte zurück, und trat dann mit den unruhigen Bewegungen eines aufgeregten Kindes von einem Fuß auf den anderen.
Zakaan nahm das nur am Rande wahr. Seine Aufmerksamkeit war auf den kleinen Teil des Lagers gerichtet, den er von seinem jetzigen Standort aus einsehen konnte. Nicht, dass dort viel zu sehen gewesen wäre: Die einfachen Unterkünfte, die Ragok in den letzten Tagen hatte errichten lassen, bestanden nur aus ein paar Stämmen, die ohne großen Aufwand aneinandergelegt und mit ihren restlichen Stricken und dem dünnen Gezweig notdürftig verzurrt worden waren, bevor die Männer und Frauen sie mit Ästen, Tannenzweigen und großen Blättern mehr schlecht als recht abgedichtet hatten. Von hier oben aus war nicht viel mehr als die Ansammlung ungleichmäßiger grüner Dächer zu erkennen, die sich kaum von ihrer ebenfalls grünen Umgebung abhoben, und Rauch, der irgendwo aus weiterer Entfernung über das Lager strich. Im Augenblick hielten sich dort unten sicherlich nur wenige Menschen auf, die meisten würden die nähere und weitere Umgebung nach etwas Essbarem absuchen, würden Beeren, Pilze, Nüsse und Brennholz sammeln oder auf der Jagd nach den wenigen Tieren sein, die sie durch ihre Anwesenheit hier noch nicht aufgescheucht hatten.
Den Krähen konnte das gleich sein. Aber irgendetwas an dem Lager schien sie doch anzulocken, denn sie hielten so zielsicher darauf zu wie eine Horde Jäger auf eine Bärenhöhle. Und nicht nur das: Kurz vor dem Lager teilte sich der Krähenschwarm. Die grau-schwarzen Nebelkrähen flogen tief und dicht über den Dächern der einfachen Hütten hinweg, während die tiefschwarzen Rabenkrähen abdrehten, um in einer steilen Kurve aufzusteigen und in eine tief hängende Wolke einzutauchen.
»Das ist unmöglich«, murmelte der Schamane. Er hatte fast schon vergessen, dass ihn ein fünfjähriger dürrer Knabe mit großen Augen anstarrte, er wusste kaum noch, wo er war, und schon gar nicht spürte er seine entzündeten Gelenke, die ihn heute Morgen mal wieder besonders gequält hatten. »Das ist kein Zeichen der Stammväter. Das sind die Götter selbst, die zu uns sprechen.«
Er stieß sich von dem Baumstamm ab und stürmte so schnell los, als wäre er selbst noch ein Junge. Sein rechter Fuß verhakte sich in einer Wurzel, und hätte er sich nicht auf den Stock stützen können, wäre er unweigerlich gestürzt. Er spürte die gleiche Art von Erregung in sich wie damals, als sie den Entschluss zur großen Wanderung getroffen hatten. Auch damals hatten ihm die Götter ein Zeichen gesandt, und auch damals war es ein Vogelschwarm gewesen. Doch anders als jetzt waren es keine Krähen gewesen, sondern verschiedene Vögel, die nach Westen zogen und dabei zu einem teilweise halsbrecherischen Flug über ihre Häuser und Felder hinweggesaust waren, so, als wollten sie sie auffordern, es ihnen gleichzutun.
»Wir müssen zu Ragok«, stieß Zakaan hervor, als er den Steinkreis erreichte. Sein Blick fiel auf
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