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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ihr nach dem lebenden Dragosz auch noch den toten Dragosz zu nehmen, das war … unfassbar.
    Und alles zusammen war mehr, als sie ertragen konnte.
    »Ich … ich verstehe das nicht«, murmelte sie. »Von mir aus richtet mich. Schlagt mich tot, steinigt mich, verbrennt mich bei lebendigem Leib. Aber das … das könnt ihr doch nicht tun … ihr könnt mir doch nicht Dragosz nehmen!«
    »Wir nehmen dir nur das, was du dir selbst schon genommen hast«, berichtigte sie Abdurezak, und dabei schwang eine Traurigkeit in seiner Stimme mit, die sie fast noch mehr traf als seine Worte zuvor.
    »Was soll das heißen?«, fragte sie atemlos.
    »Das weißt du ganz genau.« Abdurezak runzelte die Stirn, als sein Blick auf einen Blutstropfen fiel, der von Arris zerbissener Lippe hinabrann. »Aber warum? Warum hast du es nur getan?«
    »Aber was denn?«, flüsterte Arri. »Was soll ich getan haben?«
    »Das weißt du selbst sehr genau«, antwortete der Alte.
    Arri antwortete nicht, sondern kauerte sich stattdessen so weit wie möglich zusammen und starrte auf den See hinaus. Der Tag war nun vollends erwacht. Das Sonnenlicht spiegelte sich gleißend auf dem Wasser, ein Vogelschwarm stob vom Ufer auf und glitt wie selbstvergessen über den See. Über dem Schilf begannen die ersten Mücken zu tanzen. Gestern noch war es ihr vollkommen selbstverständlich erschienen, dass Tag auf Tag folgte und das Leben jedes Mal an dem gleichen Punkt begann, an dem es am Abend zuvor Abschied genommen hatte.
    Jetzt war das anders. Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff sie wirklich, dass nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich war. Man konnte sich gestritten oder geliebt haben, man konnte am Feuer gedöst oder auf der Jagd gewesen sein, man konnte mit Fremden um Ware gefeilscht haben oder in eine Rauferei verwickelt gewesen sein – immer und überall konnte alles enden.
    Und wenn man Pech hatte, dann verlor man das Liebste in seinem Leben.
    »Du weißt genau, was ich meine«, wiederholte der Alte.
    Arri nickte. Natürlich wusste sie es. Es war ihre Aufgabe gewesen, über den Opfertrank zu wachen, während er verfeinert und später in Krüge abgefüllt wurde. Sie war keine Fremde mehr im Dorf, aber sie gehörte auch nicht wirklich zu der uralten Gemeinschaft der Raker. Dragosz’ Volk hatte ihr von Anfang an misstraut, und zwar nicht nur, weil sie eine Fremde war, sondern auch, weil sie als Heilerin aus einer anderen Kultur über ein manchmal unverständlich anmutendes Geheimwissen verfügte. Wäre sie nicht von Anfang an Dragosz’ Gefährtin gewesen, so hätte man sie wahrscheinlich schon am ersten Tag mit Schimpf und Schande vertrieben.
    Fast gewaltsam riss Arri den Blick von der friedlichen Spätsommerstimmung los, die über dem See lag. Sie ahnte, dass sie diesen Anblick nie wieder zu Gesicht bekommen würde. Man würde sie ans Ufer bringen, dorthin, wo unter mächtigen Bäumen Gericht gehalten wurde. Oberster Gerichtsherr war Dragosz gewesen, doch auch er hatte kein Urteil gegen den Ältestenrat fällen können.
    Und diesmal konnte er sie nicht in Schutz nehmen.
    »Kind«, begann Abdurezak, und sie sah verwundert zu ihm hoch. Ihre Welt verengte sich dabei vollkommen auf das Gesicht des alten Mannes. Die Fältchen um seine Augen kündeten davon, dass er gerne und viel lachte, aber um seine Mundwinkel hatten sich auch tiefe Kerben eingegraben, die von Kummer und Leid kündeten.
    »Du hast getötet«, fuhr Abdurezak fort. »Und nicht nur deinen Mann. Die gute alte Amara, der kränkliche Joguw, der erst vor Kurzem seine Frau verloren hat, und der kleine Prytio – sie alle sind in der Nacht qualvoll gestorben.«
    »Das ist …« Arris Stimme brach ab, dann fing sie sich wieder. »Das ist schlimm.«
    »Ja, mein Kind. Schlimm.« Abdurezak seufzte. »Und so vollkommen unnötig. Hatten wir nicht schon eine Zeit schwerster Entbehrungen hinter uns? Hat es nicht gereicht, dass viele von uns auf der großen Wanderung an Hunger und Entbehrungen gestorben sind?«
    »Doch«, antwortete Arri. »Das hat gereicht. Ich und Dragosz … wir wollten euch ein besseres Leben schenken. Mit der neuen Weihestätte kann man die richtige Zeit für Aussaat und Ernte viel besser bestimmen als bislang. Und außerdem …«
    »Diese Weihestätte ist gestern Abend gestorben, mein Kind«, sagte Abdurezak leise, »zusammen mit Dragosz.«
    Arri nickte langsam. Es war ihr gleich. Ihre Welt war nach Dragosz’ Tod eng und kalt geworden. Was interessierte sie da noch die

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