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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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immerwährenden Gesang des Sees, der sie eingeladen hatte, in Frieden und Ruhe an ihm zu leben.
    Immer wieder hatte sie ihren Liebsten betrachtet, jetzt aber riss sie den Blick von ihm los. Es war so schrecklich, ihn dort liegen zu sehen und zu glauben, er könne sich jederzeit wieder erheben. Und es war Unfug. Es war das Spiel der Wellen, die das Totenboot schaukelten, und das Licht der Morgensonne, das winzige Bewegungen vorgaukelte, wo gar keine waren.
    Fast gewaltsam hob sie den Kopf und sah zum Ufer hinüber. Von der Stelle aus, an der Rar sie auf dem noch frisch riechenden Holz des lang geschwungenen Stegs, der zu dem neuen Pfahldorf gehörte, abgesetzt hatte, konnte sie nur einen kleinen Teil des Ufers einsehen. Sie stieß einen zittrigen Seufzer aus. Alles wirkte auf schreckliche Weise unverändert: die kleine, halb eingefallene Anlegestelle, die ihnen die alten Seebewohner hinterlassen hatten, zwei der von ihnen in aller Eile errichteten Hütten, die ihnen damals wie ein großer Luxus erschienen waren und jetzt nur noch schäbig wirkten, und dahinter der kleine Ausschnitt eines fruchtbaren Ackers, den sie erst vor Kurzem wieder urbar gemacht hatten.
    Sie erinnerte sich noch genau daran, wie es gewesen war, als sie mit Dragosz und den Kundschaftern zum ersten Mal das Ufer abgeschritten hatte, immer darauf gefasst, dass gleich jemand käme, um seine Ansprüche auf den See und die alte Siedlung geltend zu machen. Sie hatte all dies hier als ein reines Wunder empfunden. Eine frische Brise war über das Wasser gestrichen, nicht zu warm und nicht zu kalt, Vögel hatten sich träge vom Wind tragen lassen, und surrende Libellen waren dagewesen, die wie die Mücken, Fliegen und andere Insekten vom reich gedeckten Tisch des Seeufers lebten.
    Es war ein unbeschwerter, glücklicher Augenblick gewesen; und trotzdem hatte eine Art böse Vorahnung in ihr mitgeschwungen. Sie hatte gelernt, auf ihre Vorahnungen zu achten, und wahrscheinlich verdankte sie ihnen schon mehr als einmal ihr Leben. Aber diesmal suchte ihre Hand die von Dragosz, um sie fest zu drücken, und als sie ihn anlächelte, schalt sie sich innerlich eine Närrin, dass sie sich im Anblick eines großen Glücks schon wieder Sorgen zu machen anfing.
    Das Wunder des Sees hatte sie beide überwältigt. Sie waren wie zwei kleine Kinder durch das ufernahe Wasser getobt und hatten die schwirrenden, summenden und brummenden Insekten und all die blühenden Pflanzen und grünen Triebe staunend wahrgenommen, die ihnen nach der Zeit der Entbehrung in ihrer Üppigkeit ebenso wie ein Wunder vorgekommen waren wie die vom Ufer aus ansteigenden brachliegenden Äcker, auf denen wildes Korn und andere Pflanzen trieben. Außer ihnen war keine Menschenseele zu sehen, und darin hatte vielleicht sogar das größte Wunder von allen gelegen. Was war nur geschehen, dass die ursprünglichen Seebewohner diese unfassbar schöne und reiche Gegend verlassen hatten?
    Dieses Rätsel hatten sie weder an diesem noch am nächsten Tag lösen können, als sie erneut zum See aufgebrochen waren, um einen geeigneten Platz für ihre eigene Siedlung auszusuchen. Staunend hatten sie dort immer wieder neue kleinere und größere Wunder entdeckt, bis sie sich liebestrunken in eine schmale Bucht verirrt hatten …
    Schon in früheren Zeiten hatten Menschen um und mit dem See gelebt, natürlich, und überall hatten sie die Hinterlassenschaften aus verschiedenen Epochen gefunden: einen im Wasser vermoderten Einbaum, mehrere Feuerstellen, Steinwerkzeug, Pfeilspitzen und Lederriemen, verbogenen Kupferschmuck, angeschlagene Trichterbecher und allen möglichen Unrat, der im Schlick gelegen hatte. Dragosz hatten natürlich am meisten die morschen Pfähle im See beeindruckt, die verfaulenden Planken und auch die Überreste von Hütten auf dem Seegrund, die so aussahen, als hätte eine riesige Faust so lange auf sie eingeschlagen, bis sie unter der rohen Gewalt schlicht und einfach in sich zusammengebrochen waren.
    Angriffe, Kämpfe, Tod und Verderben – alles dies war die Sprache, die Dragosz während der großen Wanderung gezwungen war zu sprechen. Und wenn er sich mit seinen Getreuen beriet, hatten sie manchmal das Gefühl, es ginge ihm in Wirklichkeit gar nicht darum, einen friedlichen Platz für sich und sein Volk zu finden, sondern er wolle vielmehr auf ewig Krieg führen.
    »Wir werden ein Pfahldorf bauen«, hatte er entschieden. »Das lässt sich wesentlich besser gegen Angreifer verteidigen. Außerdem

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