Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
unseres Stammes. Derjenige, der in den Geist der Vergangenheit eintaucht, in das Land unserer Urväter.«
»Der Schamane …« Zakaan schüttelte den Kopf. Der Mann sah gar nicht wie ein Schamane aus. Aber das spielte keine Rolle. Es war die innere Einstellung, die einen Schamanen ausmachte, nicht sein Aussehen.
Was ihn aber viel mehr erschreckte, war die Vorstellung, dass dieser Mann von seinen Urvätern sprach. Er selbst verkörperte für Zakaan eine Vergangenheit, die für ihn unvorstellbar weit zurücklag. Dass es aber auch für diesen Schamanen wieder eine Vergangenheit geben konnte, die von ihm aus ebenfalls so weit zurücklag – das ließ ihn schwindeln.
»Unser Schicksal wird sich in den nächsten Tagen entscheiden«, fuhr der eiszeitliche Schamane fort. »Hier gibt es kein Wild mehr, das wir jagen könnten, und keine Wurzeln, die wir ausgraben könnten, und überhaupt nichts, was wir sammeln könnten. Wir müssen unser Land verlassen, wenn wir wollen, dass unsere Kinder eine Zukunft haben.«
Das also war es … Zakaan spürte den Sog der Zeit, den er schon seit Langem wahrgenommen hatte. Ihnen ging es ganz ähnlich. Sie hatten zwar nach einer Weile harter Entbehrungen eine Gegend erreicht, die ihnen üppig Nahrung bot. Aber das änderte nichts daran, dass er spürte, wie sich alles um sie herum zusammenzog, wie sich die Entwicklungen überschlügen und schreckliche Dinge nach oben drückten …
Die möglicherweise ihren Ursprung in einer wesentlich früheren Epoche hatten. Vielleicht in der, in die ihn die Trance dieses Mal geführt hatte.
»Wir müssen in das Land unserer Vorväter zurück«, murmelte er.
Der eiszeitliche Schamane nickte. »Ich weiß. Ihr müsst hierher. Aber ihr seid dreigeteilt.«
»Dreigeteilt?«, gab Zakaan verwundert zurück.
Der andere nickte abermals. »Dann aber hob Wurgar seinen Hammer und ließ ihn auf das Volk niedersausen. Und das Volk zerbrach in drei Teile. Ein Teil nur blieb im alten Land, ein anderer Teil zog nach Norden, einer nach Osten.«
Er sprach das so ruhig aus, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Und – das war es ja auch. Der Eiszeit-Schamane sprach nicht von den Rakern, die sich zurzeit in zwei Teile geteilt hatten, einer angeführt von Ragok, der andere von Dragosz. Er sprach von einer anderen, von einer wesentlich tiefgreifenderen Trennung, die viel, viel früher stattgefunden haben musste.
»Unsere alten Geschichten«, sagte Zakaan selbstvergessen. »Sie erzählen, dass wir einst aus dem Westen kamen, aus dem Land der Stammväter. Und dass wir dorthin auch wieder zurück müssen.«
»Das müsst ihr«, antwortete der Eiszeit-Schamane, »wenn ihr nicht in alle Winde zerstreut werden wollt, bis ihr untergeht.«
»Und die nächsten Tage …«, begann Zakaan.
»Die nächsten Tage werden darüber entscheiden, ob ihr fortbesteht oder nicht«, sagte der eiszeitliche Schamane. »Gewaltige Prüfungen kommen auf euch zu, und Schreckliches wird euch widerfahren.«
Zakaan nickte. Es war nichts Neues für ihn, und wenn er auch nicht wusste, welcher Art die Prüfungen sein würden, denen sie sich stellen mussten, so hatte er es doch Ragok, Lexz und allen anderen immer wieder eingehämmert.
»Aber wie finden wir das Land unserer Väter?«, fragte er.
»Das weißt du doch schon längst«, sagte der Mann aus der fernen Vergangenheit. »Und dein Bruder weiß noch mehr darüber. Geh zu ihm und löse gemeinsam mit ihm das Rätsel eures Ursprungs.«
»Ja, das werde ich tun«, flüsterte Zakaan. »Aber was hat das mit der Himmelsscheibe zu tun? Warum deuten alle Zeichen darauf hin, dass wir sie finden und richtig deuten müssen, um nach Urutark zu kommen?«
»Genau das müsst ihr herausfinden«, sagte der Eiszeit-Schamane. »Und nun geh und suche deinen Bruder!«
Zakaan erschauerte. Es waren nicht so sehr die Worte des Eiszeitjägers, die ihn berührten, als vielmehr die feierliche Art, in der er sie aussprach.
Ihm war kalt, und er wusste, dass er es in der bitteren Kälte nicht mehr lange aushalten würde. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Sein Blick wanderte nach oben, zur Krone der mächtigen Eiche, unter der er saß: dem Lebensbaum, wie ihn der Jäger genannt hatte.
»Bruder«, sagte er. »Abdurezak. Wo bist du? Ich vermisse dich so!«
Der Lebensbaum war nicht kahl, er trug ein dichtes Blätterdach, auf dem eine pulvrige, aber dichte Schneeschicht lag. Es war also nicht Winter, sondern allenfalls Herbst. Und trotzdem war es so
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