Die Hintertreppe zum Quantensprung
besondere Ideen brauchte. Doch was andere abgeschreckt hatte, schien Feynman nur anzustacheln. Er fühlte sich stark genug, es seinem Helden der jüngeren Physikgeschichte zu zeigen.
Dirac hatte aber seine wissenschaftlichen Waffen nicht aus Langeweile gestreckt, sondern weil er ein physikalisches Problem nicht aus dem Weg räumen konnte, das mit der sogenannten Selbstenergie eines geladenen Teilchens, etwa eines Elektrons, zu tun hat. In der Theorie kam dafür immer wieder ein unendlicher Wert heraus, was physikalisch unsinnig war, und irgendwann hörte Dirac auf, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Was Selbstenergie ist und warum sie Schwierigkeiten macht, lässt sich gut erklären, wenn man sich, ohne auf Ladungen achten zu müssen, einen Stein vorstellt, der sich in einem Schwerefeld wie beispielsweise der Erde befi ndet. Wer ausrechnen will, welche Energie solch ein Stein in einer gewissen Höhe über dem Boden hat, muss dazu auch die Theorie von Einstein mit in Rechnung stellen, in der Masse und Energie äquivalent sind. Und damit passiert die Katastrophe – in der Theorie: Da der Stein über eine Masse verfügt, bekommt er Energie. Diese Energie schlägt sich als mehr Masse nieder, was wiederum ihre Energie vermehrt. Dieser energetische Zugewinn muss erneut der Masse des Steins hinzugefügt werden, der dadurch seine Energie erhöht – und so geht es als Spirale bis in alle Ewigkeit weiter, bis also alles unendlich und somit physikalischer Unsinn ist.
Wie dem Stein in einem Schwerefeld ergeht es einem geladenen Elektron in einem elektrischen Feld, und deshalb klappte Dirac frustriert seine Hefte zu. Es war dann Feynman, der sie wieder öffnete und einen Ausweg fand, um die Unendlichkeiten zu vermeiden, die in Fachkreisen ganz behutsam als »Singularitäten« hofiert werden. Dazu musste unser Spaßvogel allerdings einen langen Umweg in Kauf nehmen, was heißt, dass er die Quantenmechanik, welche ihm überholt zu sein schien, neu erfinden und mit anderen Methoden rekreieren musste. Feynman entwickelte eine Sprache, in der es sogenannte Wegeintegrale ( path integrals ) gab, mit denen sich die Wege – genauer: die Bewegungen – der atomaren Realitäten darstellen ließen. Der Zauberer Feynman kramte aus seinem Zylinder zudem sogenannte Proagatoren heraus, die für diese Wege verantwortlich waren und mit denen er bald die Bildchen, seine berühmten Diagramme, malen konnte, die alles so einfach aussehen ließen.
Das mit dem Zaubern stimmt. Denn als Feynman seine Methode bei den Elektronen und dem Licht (seinen Photonen) einsetzte, verschwanden die Singularitäten – die hässlichen Unendlichkeiten – eine nach der anderen. Das ist genau so gemeint, wie es da steht: Jeder unendliche Wert, der in den (alten) Rechnungen auftrat, wurde von einem anderen unendlichen Wert kompensiert, der mit der (neuen) Methode sichtbar wurde. Die Unendlichkeiten hoben sich gegenseitig auf, und die Theorie konnte alles berechnen. Feynman triumphierte, das heißt, er triumphierte eigentlich nicht. Zwar jubelten seine Kollegen, aber einer schüttelte den Kopf: Paul Dirac. Er sah zwar, dass Feynman recht hatte, aber der Preis dafür war ihm zu hoch. Feynman hatte seiner Ansicht nach die Schönheit der Physik geopfert. Dabei hatte sich Dick Feynman bei seinem Suchen gerade auf sie verlassen. Denn als er seine Diagramme entwickelte und noch unsicher war, ob sie weiterhelfen konnten oder nicht, probierte er sie dadurch aus, dass er sie auf bereits verstandene Probleme anwandte. So musste zum Beispiel der Betazerfall, von dem schon mehrfach die Rede war, herhalten. Als er das Feynman-Diagramm dieser Umwandlung eines Neutrons in ein Teilchentrio aus Proton, Elektron und einem Neutrino skizzierte, stellte er fest, dass das Gebilde nicht nur »Eleganz und Schönheit« besaß, sondern ihn anstarrte. »Das verdammte Ding leuchtete«, erzählte er seinem Biografen James Gleick und fügte hinzu, dass er in jenem Augenblick wusste, wie die Natur in diesem Fall funktionierte und wie man ihr auch in anderen Fällen auf die Schliche kommen konnte.
Der andere Feynman
Feynman hat seinen Spaß an vielen Dingen gefunden, nicht nur am Karneval in Rio de Janeiro, an dem er aktiv mit seinen Trommeln teilnahm, sondern auch daran, seine Freunde und Kollegen mit provozierenden Vorschlägen herauszufordern. 1959 schlug er seine »Room-at-the-bottom«-Idee vor, als er Ingenieure aufforderte, das zu entwickeln, was heute Nanotechnologie heißt. Feynman
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