Die Hintertreppe zum Quantensprung
fragte bei dieser Gelegenheit, ob nicht in den mikroskopischen Dimensionen der Dinge Platz genug sei, um etwa Motoren oder Suchgeräte zu konstruieren. Er forderte die Physiker zunächst auf, einen elektrischen Antrieb zu bauen, der kleiner als ein Prozent eines amerikanischen Zolls ( inch ) sein sollte, das etwas mehr als 2,5 cm umfasst. 1000 US-Dollar bot er dem Konstrukteur des ersten funktionierenden Mikrogeräts an, und kaum ein halbes Jahr später war Feynman sein Geld los. Einen Teil davon konnte er sich ein paar Jahre darauf zurückholen, als er eine andere Wette gewann, in der es um die Frage ging, ob Feynman es durchhalten würde, auch nach seinem Nobelpreis 1965 jede administrative Funktion auszuschlagen und sich trotz wachsender Popularität ganz seiner eher komplexer werdenden Wissenschaft zu widmen. Als Zeitraum des Durchhaltens waren zehn Jahre ausgemacht, und obwohl Feynman mit vielen lukrativen Angeboten bedacht wurde, lehnte er sie alle ab. Er sah nicht, wie er auf den möglichen Posten den Spaß bekommen könnte, der ihn mehr als alles Geld interessierte (den Scheck aus Stockholm ausgenommen).
Nicht ablehnen konnte Feynman gegen Ende seines Lebens die Bitte seines Präsidenten Ronald Reagan, in dem Untersuchungsausschuss mitzuwirken, der die Challenger-Katastrophe vom Januar 1986 untersuchen und die Sicherheitskonzeption der US-Behörde NASA analysieren sollte. Sieben Astronauten waren bei dem missglückten Start der Raumfähre ums Leben gekommen. Feynman wurde nach Washington eingeladen, um mitzuhelfen, die Ursachen des Unglücks zu finden. Schon damals lebte er mit geborgter Zeit, wie er es nannte, nachdem 1982 bei ihm Krebs diagnostiziert worden war, und zwar eine Form, die das Knochenmark befällt. Mehrere Operationen hatten ihm noch die Chance auf mehr Jahre im Leben gegeben, und als die Einladung bzw. Aufforderung aus Washington kam, wollte er das bisschen verbleibende Leben eigentlich anders nutzen. Aber er hatte Freunde, die an dem Shuttle-Programm arbeiteten, und er hielt viel von dem gesamten Projekt der Raumfahrt. Damit es weitergehen konnte, mussten dessen Schwachstellen erkannt werden. Und so konnte man eines Tages in der Zeitung lesen: »Mr. Feynman kommt nach Washington«.
Die erwähnten Freunde arbeiteten am sogenannten Jet Propulsion Laboratory (JPL), das in den Bergen vor Pasadena lag, nicht sehr weit von Feynmans Hochschule, dem Caltech. Hier erfuhr er, dass Techniker und Ingenieure schon einige Male auf Sicherheitsmängel verwiesen hatten – es gab zum Beispiel einige Schwierigkeiten mit Turbinenschaufeln. Doch was den meisten Bauchschmerzen bereitete und was Feynman sofort ins Auge fi el, das waren höchst raffinierte Konstruktionen, die als O-Ringe zwar anschaulich, aber unter ihrem Wert bezeichnet wurden. Auf den ersten Blick handelte es sich hierbei um gewöhnliche Gummiringe. Auf den zweiten Blick offenbarten sie jedoch ihre Besonderheit: Der Gummi war dünner als ein Bleistift, und bei einem Durchmesser von mehr als zehn Metern mussten die Ringe einen nahezu perfekten Kreis abgeben. Sie dienten in dieser Form dazu, die Segmente, aus denen eine Rakete gebaut ist, sorgfältig abzudichten. Meist taten sie dies so, wie man es erwartete. Aber ab und zu gab es ein Problem: »O-Ringe zeigen bei der Überprüfung der Segmentnut Spuren einer Versengung«, notierte Feynman nach seinem Besuch am JPL. Das gab Anlass zur Sorge. Denn »sobald ein kleines Loch durchgebrannt ist, entsteht augenblicklich ein großes Loch«, aus dem entzündbare Gase ausströmen können, und das hat »katastrophale Folgen in Sekunden«. Als Feynman dies verstanden hatte, buchte er das Ticket in die Hauptstadt.
Da er als einziges Mitglied des Untersuchungsausschuss nicht zur Raumfahrtbehörde NASA gehörte, galt ihm mehr öffentliche Aufmerksamkeit als allen anderen. Feynman konzentrierte sich auf die O-Ringe, und dabei wurde ihm bald klar, dass es weniger die Hitzebelastung war, der sie nicht standhalten konnten. Es war vielmehr das Gegenteil, nämlich Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, wie es sie im Winter auch schon einmal in Florida, wo die Abschussrampe der Challenger Mission stand, geben kann. Tatsächlich hatte es einige sehr kalte Nächte vor dem fatalen Start gegeben, und das Material der O-Ringe könnte spröde und beim Flug löchrig geworden sein. Um seine Einsichten zu den O-Ringen vorzutragen und die Aufmerksamkeit des Publikums zu haben, führte Feynman eine kleine Show vor, die live
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