Die Hintertreppe zum Quantensprung
Sprüngen nicht zu vereinbaren ist. Gemeint ist die Eigenschaft des Sommerfeld’schen Atoms, anschaulich zu sein. Bei ihm liefen zwar winzige, aber zugleich auch irgendwie vorstellbare Elektronen auf ebenso vorstellbaren und wirklich erscheinenden Bahnen umher. Aber genau dies kann nicht durchgehalten werden, wie die beiden berühmtesten Schüler von Sommerfeld, Pauli und Heisenberg, Mitte der 1920er-Jahre entdecken mussten.
Zu deren notwendigen Erkenntnisschritten konnte Sommerfeld nur noch dadurch beitragen, dass er in den Jahren nach der Machtergreifung durch die bornierten Nationalsozialisten bestmöglich dafür sorgte, dass die Blütezeit der theoretischen Physik nicht einfach erstickt wurde. Allerdings: Wegen dieser aufrechten und allein an wissenschaftlichen Kriterien orientierten Haltung wurde Sommerfeld frühzeitig in den Ruhestand geschickt und durch einen namenlosen Nazi ersetzt. Genauer gesagt, hatte es um Sommerfelds Nachfolge zunächst einen erbitterten Streit unter den Physikern gegeben, die in zwei geistige Lager zerfi elen: in ein traditionell unpolitisches und ein opportunistisch antisemitisches Lager. Als sich herausstellte, dass Sommerfeld gerne seinen Schüler Werner Heisenberg auf dem vakanten Lehrstuhl sehen wollte, wurde beiden vorgeworfen, sich nicht ausreichend von Einsteins jüdischer Physik distanziert zu haben. So kam es, dass die Nazis sofort und brutal reagierten, als die Münchener Fakultät trotz dieser Beschuldigungen eine vom bayerischen Kultusministerium angeforderte Liste der Kandidaten im November 1935 vorstellte, an deren Spitze der Name Heisenberg stand – die anderen Kandidaten rangierten »in weitem Abstand« hinter ihm. Ende Januar 1936 erschien sodann in der offi ziellen Parteizeitung Völkischer Beobachter – mit einer geschätzten Auflage von rund 500 000 Exemplaren – ein Beitrag mit dem Titel »Deutsche Physik und jüdische Physik«, in dem Heisenberg als Schüler Sommerfelds ausdrücklich beschuldigt wurde, »die Grundhaltung der jüdischen Physik« zu vertreten. Die Angegriffenen antworteten noch im Februar, indem sie zu erklären versuchten, warum »die theoretische Physik gerade für uns Deutsche wichtig« sei – weil sie nämlich im besten Sinne etwas mit Fragen der Weltanschauung zu tun habe. Doch die Angriffe wurden nur noch schärfer, solange Sommerfelds Nachfolger nicht bestimmt und der Lehrstuhl nicht mit einem zuverlässigen Kandidaten besetzt war. Das freie Geistesleben hatte in Deutschland keinen Platz mehr. Sommerfeld zog sich resigniert aus der Öffentlichkeit zurück und arbeitete an seinen sechsbändigen Vorlesungen über Theoretische Physik , die von 1942 an erscheinen konnten. Auch hierin zeigte er die Gabe, die man immer an ihm bewundert hatte, nämlich die Fähigkeit, »die Geister Ihrer Hörer und Leser zu veredeln und aktivieren«.
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Ernest Rutherford (1871–1937)
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Der Entdecker des Atomkerns
Ernest Rutherford wird gerne durch zwei Eigenheiten charakterisiert – zum einen weist man ständig darauf hin, dass er aus Neuseeland stammt. Denn so kann man ihn als einen der größten Wissenschaftler bezeichnen, der in diesem europafernen Teil der Welt geboren wurde, und zwar als viertes von zwölf Kindern eines schottischen Stellmachers und einer englischen Lehrerin, die beide um 1860 nach Neuseeland ausgewandert waren. Die Verehrung Rutherfords in seiner Heimat zeigt sich übrigens bis heute daran, dass sein Porträt auf dem 100-Dollar-Schein der neuseeländischen Notenbank zu fi nden ist. Zum zweiten gehört es zu Rutherford, dass er nie seine Meinung zurückhielt und sie zudem gerne mit lauter Stimme verkündete – aber erst, als er Professor in England war und der Regierung selbstbewusst als Berater in Energiefragen diente. Als solcher ließ er den Minister schon einmal warten, wenn es im Labor Wichtigeres zu tun gab. Zu seinen unvergänglichen Äußerungen zählt die Ein- bzw. Geringschätzung der wissenschaftlichen Bemühungen von Kollegen in anderen Disziplinen als der eigenen. Entweder, so tat Rutherford kund, ist etwas Physik, oder es ist Briefmarkensammeln. Mit anderen Worten, die wahre Qualität des wissenschaftlichen Forschens zeigt sich seiner Ansicht nach nur in seinem Fach, das natürlich seit ein paar Hundert Jahren – seit Isaac Newton – an ihren Methoden gefeilt hat und nun weiß, wie sie aus Datenmengen Schlüsse ziehen kann. Und wenn wir Rutherford an dieser Stelle gerne zugestehen wollen, dass er ein großer
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