Die Hintertreppe zum Quantensprung
nur, bis seine Schüler Heisenberg und Pauli in der Mitte der 1920er-Jahre zeigten, dass man das atomare Geschehen ganz anders verstehen kann und muss.
Richtig an Sommerfelds Darstellung der vielen Spektrallinien und ihren mehrfachen Aufspaltungen bleibt die Idee, dass die Elektronen eines Atoms über eine Möglichkeit verfügen müssen, das Magnetfeld zu spüren, dem sie ausgesetzt sind. Physiker sprechen im dem Fall davon, dass das Elektron und das Magnetfeld miteinander wechselwirken, und das geht nur, wenn die atomaren Bausteine ein magnetisches Moment besitzen, wie Sommerfeld erkannte. Er wies ihnen deshalb eine dritte Quantenzahl zu, die aus einsichtigen Gründen als magnetische Quantenzahl bezeichnet wird.
Für einen Laien muss der hübsche Begriff des »magnetischen Moments« trotz der Alliteration rätselhaft bleiben. Es soll genügen, dass wir uns an dieser Stelle die physikalische Tatsache in Erinnerung rufen, dass ein stromdurchfl ossener Draht um sich herum ein Magnetfeld aufbaut. Dies wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt und sorgte für Verwirrung. Denn wie erzeugt etwas Elektrisches etwas Magnetisches?
Das Geheimnis bleibt zwar bis heute ungelöst, aber wir wissen jetzt, dass bewegte (elektrische) Ladungen magnetisch wirken, und da ein kreisendes Elektron eine einzelne solche bewegte Ladung ist, kann man ihm ein magnetisches Moment zuordnen. Nichts anderes hat Sommerfeld getan, wobei noch anzumerken ist, dass es sich bei diesem Moment nicht um einen zeitlichen Augenblick handelt, der zwar genauso heißt, allerdings grammatisch gesehen männlichen Geschlechts ist: Es heißt bekanntlich der entscheidende Moment, wenn es um einen Zeitpunkt geht, und es heißt das magnetische Moment, wenn es um eine Wirkung geht. Dieses sächliche Moment haben die Physiker nach dem lateinischen momentum gebildet, womit eine bewegende Kraft bzw. eine Wirkung gemeint ist. In dieser Bedeutung taucht das Wort in der Alltagssprache als Drehmoment auf. Wenn sich zum Beispiel jemand beim Autokauf nach der Qualität eines Motors erkundigt, bekommt er als Antwort eine Auskunft über dessen Fähigkeit, die Achsen möglichst schnell in Drehung zu versetzen (um so Geschwindigkeit zu erzeugen). Das magnetische Moment von Elektronen besitzt die gleiche etymologische Herkunft, erfasst aber die Wechselwirkung der Elektronen mit einem magnetischen Feld, die den Spektrallinien die beobachtete Feinstruktur (Aufspaltungen) verleiht.
Sommerfelds Konstante
Als Sommerfeld an der Feinstruktur der Spektrallinien arbeitete, bemerkte er, dass das einzelne Elektron in einem Wasserstoffatom ziemlich nahe an die Lichtgeschwindigkeit herankam. Das jedoch hieß, dass man konsequenterweise Einsteins Relativitätstheorie zur Berechnung heranziehen müsste, was die Sache rasch kompliziert macht. Etwas genauer gesagt, betrug die Geschwindigkeit des Elektrons rund 137stel der Lichtgeschwindigkeit, wobei die Zahl 137, wie Sommerfeld nachwies, als Kombination aus drei fundamentalen Naturkonstanten zusammengesetzt werden konnte: aus dem Planck’schen Quantum der Wirkung h, aus der Elementarladung eines Elektrons e und der Lichtgeschwindigkeit c. Das heißt, man musste noch als vierte Zahl die berühmte Kreiszahl der Griechen hinzufügen, das π, und schon konnte man mit ihr und den drei Naturkonstanten eine neue Konstante formen, die den Vorteil hat, eine reine Zahl zu sein und keine Dimension zu haben – also etwa Meter oder Joule oder etwas anderes anzugeben. Man spricht heute von der Sommerfeld’schen Feinstrukturkonstanten und weiß, dass sie sowohl die Häufigkeit als auch die Stärke von physikalischen Abläufen festlegt. Für viele Physiker steckt in dieser Zahl das eigentliche Geheimnis der materiellen Existenz – da ist er wieder, der Gedanke des Pythagoras –, und sie träumen von einem Argument, das ihnen erläutert, warum die Feinstrukturkonstante gerade diesen Wert von rund 137 annimmt. Erst mit einem solchen Argument glaubt man, die Welt wirklich verstehen zu können. Sommerfeld hätte das mit einem Schmunzeln gesehen: »Ich kann nur die Technik der Quanten fördern«, pflegte er zu sagen, »die Philosophie müssen andere machen.«
Sommerfelds Nachfolger
So trickreich Sommerfelds Atommodelle aufgrund mehrerer Quantenzahlen und der Feinstrukturkonstanten auch wurden und so viel Erfolg sie auch erzielten, sie behielten eine Eigenschaft bei, von der man heute weiß, dass sie mit der Wirklichkeit der Quantenwelt und ihren
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