Die Hintertreppe zum Quantensprung
Physiker war und mit seinen Experimenten wesentlich zur Entwicklung der Leitwissenschaft seiner Zeit beigetragen hat, so brauchen wir doch unser Schmunzeln nicht zu verbergen. Denn im Jahre 1908 wurde ihm zwar der Nobelpreis zuerkannt, aber eben der für Chemie – »nur« der für die Chemie, wie böse Zungen dann zu spotten nicht lassen konnten.
Auf dem Weg nach England
Rutherfords Karriere umfasst ziemlich genau die Periode, die heute als Frühphase der Kernphysik bezeichnet wird und die er begründet und lange Zeit dominiert hat. Gemeint ist die Phase, die 1896 beginnt, als der Franzose Henri Becquerel als Erster das Phänomen der Radioaktivität beschreibt, und die 1938 endet, als Otto Hahn in Zusammenarbeit mit Fritz Straßmann in Berlin bemerkt, dass Atomkerne gespalten werden können, wenn sie entsprechend beschossen werden. (Wir erfahren mehr darüber im nächsten Kapitel, das Lise Meitner gewidmet ist.) Leider hat Rutherford von der erfolgreichen Kernspaltung nichts mehr erfahren, da er völlig überraschend im Jahre zuvor an einem Nabelbruch gestorben war.
Bis 1894 besuchte der junge Ernest Schulen und Hochschulen im neuseeländischen Nelson und Wellington, wobei er durch außerordentlich gute Leistungen auffi el. Sie brachten ihm schließlich ein Stipendium ein, mit dem er nach England gehen konnte. Genauer gesagt, ging er nach Cambridge, um hier an dem damals bereits berühmten Cavendish Laboratorium zu arbeiten, das zum Trinity College gehört. Und um noch präziser zu sein, ging Rutherford zu dem Physiker Joseph John (J.J.) Thomson, der 1897 das Elektron als Baustein eines Atoms entdecken sollte, was damals als Sensation empfunden wurde. Schließlich hatte J.J. gezeigt, dass das Atom, welches seit der Antike, als unteilbar galt, tatsächlich aus Teilen bestand. Jetzt war plötzlich das Atom im eigentlichen Wortsinne (griechisch a-tomos : unteilbar) gar nicht mehr das, was es sein sollte. Aber was war es dann? Thomson schlug kurzerhand vor, sich das Atom im Modell wie einen Rosinenkuchen oder einen Plumpudding vorzustellen, in dem die Elektronen wie Rosinen in einem Teig umhertrieben und von ihm zusammengehalten wurden.
Rutherford hingegen kümmerte sich zunächst genauer um die radioaktive Strahlung, die, wie erwähnt, in Frankreich entdeckt worden war. Bei seinen ersten Untersuchungen fiel ihm auf, dass man zwei Komponenten unterscheiden konnte, die verschieden stark von Hindernissen aufgehalten (absorbiert) wurden. Rutherford nannte sie Alpha- und Betastrahlen, wobei sich die zweite Form als sehr durchdringend erwies und lange rätselhaft blieb. Sie wird uns bei Lise Meitner und Wolfgang Pauli erneut begegnen.
Die Verwandlung der Elemente
Wir benutzen die Namen »Alphastrahlen« und »Betastrahlen« bis heute, wissen aber inzwischen, dass es sich im ersten Fall um Heliumkerne und im zweiten Fall um Elektronen handelt. Herausgefunden haben dies schon Rutherford und seine Mitarbeiter, als er Professor für Physik in Manchester war. Diese Position hatte er 1907 bekommen, nachdem er zuvor einige Jahre in Kanada verbracht hatte, wo er in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts als Professor an der Universität von Montreal tätig war. In dieser Zeit kooperierte er mit dem Chemiker Frederick Soddy. Die beiden analysierten gemeinsam, was mit den Atomen passiert, die strahlen. Und bei ihren Experimenten machten sie eine fantastische Entdeckung. Sie stellten nämlich fest, dass sich die Atome umwandelten, wenn sie Alpha- bzw. Betastrahlen abgaben. Aus dem Element Thorium, einem Mineral, wurde zum Beispiel das Edelgas Argon, und damit nicht genug. Die zwei Wissenschaftler kamen regelrecht nicht mehr aus dem Staunen über ihre eigenen Entdeckungen heraus. Atome schienen einen »Hang zum Selbstmord« zu haben, wie Rutherford trocken meinte, bevor er registrierte, dass er dank der neuen wissenschaftlichen Methoden das beobachten konnte, wovon die alten Alchemisten früher geträumt hatten: die Umwandlung eines Elementes in ein anderes. Die Alchemisten des Mittelalters und der frühen Neuzeit hatten stets gehofft, Blei in Gold »transmutieren« zu können, wobei sie eher meinten, in dem Wertlosen (Blei) etwas Wertvolles (Gold) zu finden. Dies vermochte selbst jemand wie Rutherford nicht, aber mit der Umwandlung von Thorium zu Argon war ihm ein erster Schritt gelungen. (1937 publizierte er sogar ein Buch mit dem Titel The Newer Alchemy , das allerdings nur von Physik handelt.)
Rutherfords Interesse galt
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