Die Hintertreppe zum Quantensprung
selbst jedoch scheint es nicht zu geben. Atome bzw. ihre Elektronen können sich zwar in verschiedenen und getrennten Zuständen befinden, aber zwischen diesen Wirklichkeiten gibt es keine weitere Möglichkeit. Da klafft eine Lücke in der Natur, und die bleibt immer leer. Es gibt für Atome kein Dazwischen. Die Natur gesteht ihnen keinen kontinuierlichen Wandel – dadurch bedingt, dass sie durchgängig existieren – zu, und bei diesem Verbot bleibt sie unerbittlich. Sie verhält sich so aus gutem Grund, wie wir später noch sehen werden.
Anschaulich formuliert: Wer den Aufenthaltsort von atomaren Bausteinen zeichnen möchte, wenn sie einen Quantensprung ausführen, muss den Bleistift absetzen und eine durchbrochene – diskrete, lückenhafte, unstetige – Linie zu Papier bringen. Zwischen dem Ausgangspunkt und dem Endpunkt von Quantensprüngen klaffen Leerstellen, und es waren diese Löcher, deren Existenz Planck und seine Kollegen bis ins Mark erschüttert und erschrocken hat. Mit ihrem Vorhandensein konnte doch der schöne und beruhigende Satz nicht mehr stimmen, mit dem der Philosoph Leibniz rund zweihundert Jahre zuvor die ideale Überzeugung aller Forscher seit der Antike ausgesprochen und zusammengefasst hatte, als er – in lateinischer Sprache, wie es sich damals gehörte – festlegte, dass die Natur keine Sprünge macht: »Natura non facit saltus«. Und niemand hat vor Planck auch nur einen Moment an die Möglichkeit gedacht, dass an dieser Stelle eine andere Ansicht zutreffen und Vorrang haben könnte.
Ein Ganzes ohne Teile
Heute wissen wir: Die Natur macht die Sprünge aber doch, und das Merkwürdige ist, dass wir ihr dafür dankbar sein sollten, ebenso wie den mutigen Forschern, die das Unstete der Natur entdeckt und erschlossen haben. Wie nämlich der Verlauf der Geschichte zutage gebracht hat und wie in diesem Buch erzählt wird, zeigen die kleinen Quantensprünge eine wahrlich große Wirkung mit enormer Bedeutung. So paradox es auch klingen mag, es sind gerade die sich als Quantensprünge bemerkbar machenden Löcher der Wirklichkeit, die dafür sorgen, dass die Welt erstens stabil bleibt und zweitens ein Ganzes ist, zu dem wir selbst auch gehören. Wir können beide Behauptungen beweisen bzw. verstehen und wollen dies in diesem Buch Schritt für Schritt – von einer Stufe der Hintertreppe zur nächsten – unternehmen.
Mit den Quantensprüngen erweist sich die uns zugängliche Welt als eine Einheit, die gar nicht aus den Teilen besteht, obwohl wir dauernd von diesen reden. Das heißt, natürlich lassen sich da draußen Einzelteile identifi zieren – Atome, Elektronen, Moleküle und viele andere –, und wir können ihnen passende Namen geben und uns damit über sie verständigen. Aber wenn wir diese Benennungen aussprechen, dürfen wir nicht denken, dass wir die dabei sprachlich anvisierten Dinge faktisch vom Rest der Welt getrennt haben. Ein Elektron gehört stets in einen Zusammenhang, und selbst das Wort »Elektron« gehört in einen Kontext und bekommt nur da seine Bedeutung. Das bleibt auch dann so, wenn ich die unvermeidliche Einbettung nicht direkt anspreche, wenn sie ausgeblendet oder übergangen wird, was deshalb leicht passiert, weil uns die Sprache dazu verführt. Mit ihren isoliert stehenden oder getrennt aussprechbaren Wörtern entsteht der Eindruck, dass sich die bezeichneten Teile ebenso separiert betrachten lassen wie Wörter. Doch das geht nicht und bringt nichts, wie uns die Quantensprünge verdeutlichen, die zwar selbst nichts zu sein scheinen, dafür aber alles in Beziehung setzen und zusammenhalten.
Die Welt und jedes Ich – beide gehören zusammen und bleiben untrennbar. Die Quantensprünge zeigen es, wenn wir uns auf sie einlassen. Und wir können dies beruhigt tun. Der ursprüngliche Schrecken der Entdecker ist längst einem staunenden Stolz der Anwender gewichen. Die folgenden Geschichten wollen helfen, daran teilhaben zu können. Wenn der Aufstieg über die hier angebotene Hintertreppe gelingt, könnte man riskieren, von einem Quantensprung im öffentlichen Verstehen von Wissenschaft zu sprechen – aber nur dann, wenn man weiß, wie anders er in der Wirklichkeit abläuft.
Acht Pioniere
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Max Planck (1858–1947)
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Physiker, Philosoph, Politiker, Prediger
Max Planck gehört zu den Menschen, vor denen man sich verneigen oder zumindest den Hut ziehen sollte. Er war ein aufrechter Mann, dem man nur mit Respekt begegnen kann. Als Physiker war Planck groß, sein
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