Die Hintertreppe zum Quantensprung
Präsident Roosevelt empfohlen, Atomwaffen zu entwickeln, ist nicht ganz korrekt. Es gibt den berühmten Brief vom August 1939, und in ihm erwähnt Einstein Uranvorräte in Belgien und rät dazu, sie nicht den Deutschen in die Hände fallen zu lassen. Er drückt seine Überzeugung aus, dass es sinnvoll sei, die technische Nutzung von Kernenergie zu erforschen, und zwar in großem Stil.
Geschrieben hat Einstein den Brief zusammen mit dem umtriebigen ungarischen Physiker Leo Szilard, der schon über die Möglichkeiten der Energiegewinnung aus Atomen mittels einer Kettenreaktion nachgedacht hatte, als die Kernspaltung noch gar nicht entdeckt war. Szilard und Einstein kannten sich von Berlin her, wo sich beide gemeinsam an einem Kühlschrankpatent versucht hatten. Im Sommer 1939 traf sich das Duo auf Long Island, wo Einstein den Sommer verbrachte. Satz für Satz wurde der Brief formuliert, der genau zwei Schreibmaschinenseiten lang war und von Einstein alleine unterschrieben wurde.
Allerdings tauchte ein neues Problem auf, nachdem der Text fertig war. Wie konnte man dafür sorgen, dass der Brief tatsächlich bei Roosevelt landete und von ihm gelesen wurde? Der normale Postweg kam nicht infrage, und so suchten die beiden Physiker einen Überbringer. Ihre Wahl fiel auf den Bankier Alexander Sachs, der Roosevelt gut kannte und der von ihm geschätzt wurde. Es dauerte zwar etwas, bis Sachs einen Termin bei seinem Präsidenten erhielt, aber am 11. Oktober 1939 war es so weit, und Roosevelt erfuhr, wie leicht es sei, »außerordentlich gefährliche Bomben« zu bauen. Einen Tag später ernannte der Präsident ein Advisory Committee on Uranium. Die Bombe war auf ihrem Weg.
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James Franck (1882–1964)
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Aufrecht im Sturm der Zeit
James Franck gehört nicht gerade zu den bekannten Wissenschaftlern. Die Historiker haben lange – bis 2007 – gebraucht, um eine Biografie des aus der Hansestadt Hamburg stammenden Physikers vorzulegen, obwohl sich sein Name in mindestens drei Fachbegriffen findet, mit denen sich die Spannweite seines Denkens und Könnens erkennen lässt.
Berühmt sollte der Franck-Hertz-Versuch werden, der die Existenz von diskreten Zuständen in Atomen nachweisen konnte und die Wissenschaftler endgültig dazu brachte, ja sie mehr oder weniger zwang, die Wirklichkeit mit Quantensprüngen zu verstehen. Erleichert wird ihnen diese Aufgabe in komplexen Fällen mithilfe des Franck-Condon-Prinzips, bei dem es um Übergänge in Molekülen geht. Und neben diesen experimentellen und theoretischen Beiträgen hat Franck auch politisch nachhaltig gewirkt, nämlich durch den sogenannten Franck-Report, den er im Juni 1945 persönlich dem amerikanischen Kriegsminister übergab. In diesem trugen er und einige seiner Kollegen unverhohlen ihre moralischen Bedenken gegen den Einsatz von Atomwaffen vor.
Spitzenentladungen und ihre Folgen
James Franck wurde 1882 als Sohn eines (jüdischen) Bankkaufmanns geboren und machte zwanzig Jahre später in seiner Geburtsstadt sein Abitur. Als er seine Studien in Heidelberg begann, bemühte er sich erst um das Juristische und Ökonomische, wechselte dann aber nach Berlin und schrieb sich dabei auch in die geisteswissenschaftliche Fakultät ein. Schließlich wandte er sich den Naturwissenschaften zu, die ihn seit seiner Jugend fasziniert hatten und die damals in der Reichshauptstadt aufblühten. Hier wirkten neben Max Planck große Physiker wie Emil Warburg und Hermann Rubens, und später kam noch Albert Einstein hinzu, was die Wahl seiner Disziplin erleichterte. Es war somit die Physik, in der Franck 1906 mit einer Arbeit Über die Beweglichkeit der Ladungsträger in Spitzenentladungen promoviert wurde.
Spitzenentladungen – der Begriff ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn er besagt, dass elektrisch geladene Metalle, die Strom leiten, ihre Ladung bevorzugt über eine Spitze abgeben, was seit dem 18. Jahrhundert bekannt war und Rätsel aufgab. In der Seefahrt taucht das Phänomen bei Gewittern unter dem Namen »Elmsfeuer« auf, die sich an den Masten von Segelschiffen entzünden, wenn an deren scharfen Spitzen elektrische Entladungen stattfi nden. Umgekehrt kann man Blitze verlocken, statt in ein breites Hausdach in ein schmales Metallstück zu fahren – in einen Blitzableiter eben. Was genau aber hinter diesen Vorgängen steckte, verstand man noch nicht gut genug, und deshalb untersuchte Franck, wie und unter welchem Einfl uss sich die Träger der Ladungen, die Elektronen,
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