Die Hintertreppe zum Quantensprung
ein indi vi du el les Teilchen (zum Bei spiel ein Elektron) sagen, das nicht beobachtet wird und ohne jede Wech selwirkung existiert. Ein isoliertes Teilchen gehört nicht zur physikalischen Wirklichkeit. Es bleibt sinnlos, von seinem Zustand zu sprechen. Es hat gar keinen.
Diese kuriose Ganzheit der Quantenzustände mehrerer Teil chen ist heute eine gesicherte Tatsache. Sie wurde im Versuch nach gewiesen. Man hat weder Einstein noch Bohr, man hat die Natur selbst gefragt. Und sie hat geantwortet.
So seltsam es auch zu sein scheint, Bohr hatte recht gehabt. Dass dies von einigen Phi lo sophen heute noch bestritten wird, hätte Bohr nicht ge wundert. Das reine Denken ist eben nur eine von zwei kom ple men tären Möglichkeiten, wie man von der Wirklichkeit lernen kann. Zum Begriff gehört eben die Anschauung, wie an dieser Stelle konkret zu spüren ist.
Der Weg zur experimentellen Prüfung der Ganzheit wurde übrigens durch eine Entdeckung des schottischen Physikers John Bell aus dem Jahre 1964 möglich, also zwei Jahre nach Bohrs Tod.
Eine Erfahrung beim Spülen
Als Bohr in der Mitte der 1930er-Jahre mit Einstein über die Vollständigkeit der Quantentheorie stritt, waren zwar in Deutschland die Nazis bereits an der Macht, aber noch konnte sich die Physik als ungefährlicher Spielplatz für Ideen und intellektuelle Abenteuer verstehen. Niemand dachte bislang an militärische Anwendungen. Bohr fuhr sogar noch auf Einladung Heisen bergs zum Skilaufen nach Deutschland. Heisenberg hatte bei der Renovierung einer bayerischen Almhütte am Südhang des Gro ßen Traithen mitgeholfen und als Gegenleistung das Recht erbe ten, sie im Winter als Skiunterkunft nutzen zu können. Als Bohr hier zusammen mit seinem Sohn Christian und Physikern wie Felix Bloch und Carl Friedrich von Weizsäcker einige Tage verbrachte, war alles für eine wunderbare Anekdote bereitet.
Bei der Verteilung der abendlichen Pflichten – Kochen und Spülen – wurde Bohr eines Tages mit dem Abwasch beauftragt. Er machte sich ans Werk und sah am Ende nachdenklich auf das saubere Geschirr. Verwun dert stellte er fest: »Dass man mit schmutzigem Wasser und einem schmutzigen Tuch schmutzige Gläser sauber machen kann – wenn man das einem Philosophen sagen würde, er würde es nicht glauben.«
Diese Küchenweisheit war nicht gegen die philosophische Denkweise gerichtet, die viel zu sehr seiner eigenen Ein stellung entsprach. Bohrs Überlegung wollte aber verdeutlichen, dass die Annahme falsch ist, beim Denken könne man mit klaren Begrif fen beginnen und sich zur Wahrheit vorarbeiten. Tatsächlich ste hen uns zunächst nur unklar definierte Begriffe zur Verfügung, wir verwenden weiter ungenaue experimentelle Ergebnisse, und wir formulieren unser Ergebnis in einer Sprache, deren gramma tische Regeln wir nur ungenügend durchschauen. Dennoch machen wir Fortschritte – etwa in der Physik. Wir erken nen die atomaren Phänomene, unsere Begriffe werden im Verlauf einer wissenschaftlichen Analyse schärfer. Bohr hielt es geradezu für das Charakteristikum der Naturwissenschaften, hier nicht von vorn herein die Hoffnung aufgeben zu müssen, dass die Be griffe am Ende etwas klarer sind als am Anfang.
Die Gefahr des Atoms
Die Zeit für solche Überlegungen war bald vorbei. Am Ende der 1930er-Jahre war die Kernspaltung entdeckt und von Lise Meitner verstanden worden. Man musste annehmen, dass nun Atomwaffen entwickelt würden. Die Vorstellung, sie in den Händen Hitlers zu sehen, wurde für viele Physiker zum Albtraum, als deutsche Truppen große Teile von Europa besetzt hielten, englische Städte bombar dierten und auf Moskau zumarschierten. Bohr hielt allerdings noch zu Beginn der 1940er-Jahre Kernexplosionen für mi litärisch wertlos. Er konnte nicht wissen, dass in den USA bereits der erste Kernreaktor in Betrieb genommen worden war und die Trennung der Uranisotopen vorbereitet wurde, die für eine Bombe nötig ist. Wissenschaft war weltweit zur Geheimsache geworden.
So war Bohr kaum noch auf dem Laufenden, was in Amerika gemacht wurde, und er wusste noch viel weniger, wie weit die Deutschen waren. Musste man damit rechnen, dass Deutschland versuchte, eine Atom bombe zu bauen? Wenn Bohr geahnt hätte, wie ausschließlich die Naziregierung auf Projekte setzte, die unmittelbar im Krieg verwendet werden konnten, hätte er sich keine Sorgen gemacht. Ein Uranprojekt kam dafür nicht infrage. Doch ohne jede Informa tion musste Bohr natürlich fürchten, dass
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