Die Hintertreppe zum Quantensprung
abseits von touristisch erschlossenen Pisten. Vor allem aber schien er gute physikalische Ideen nur so aus dem Ärmel zu schütteln. Den entscheidenden Durchbruch zur Quantenmechanik schaffte Heisenberg im Alter von 24 Jahren, weshalb er schon als 26-Jähriger Professor für Physik wurde. Als solcher war er um weitere Umstürze in seiner Wissenschaft bemüht und wagte sich noch vor seinem fünfzigsten Geburtstag mit einer Weltformel an die Weltöffentlichkeit.
Das Unbestimmte
Wenn dieser große Griff letztlich auch ins Leere ging und vergeblich blieb, so ist Heisenbergs Name doch weit über sein Fachgebiet hinaus berühmt geworden, und zwar vor allem durch die sogenannte Unbestimmtheitsrelation. Diese ist unter dem (weniger genauen) Namen »Unschärferelation« in die Alltagssprache eingegangen, obwohl sie auf einen eher verwirrenden Aspekt der atomaren Wirklichkeit hinweist. Heisenbergs Relation erfasst die Tatsache, dass sich nicht alle Eigenschaften von Objekten mit atomaren Dimensionen mit beliebiger Genauigkeit in einem Experiment messen lassen. Man kann zum Beispiel nicht den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons zugleich ermitteln, wie Heisenberg zum ersten Mal erkannte, als er über die Frage eines Kommilitonen nachdachte, der wissen wollte, warum sich ein Elektron nicht in einem Mikroskop beobachten lässt. Um das Elektron zu lokalisieren – so Heisenbergs Antwort –, müsste eine Strahlung mit sehr kleiner Wellenlänge verwendet werden. Da deren Energie aber nach Planck sehr hoch ist, würde beim Zusammentreffen von Strahlung und Elektron das anvisierte Objekt so gewaltsam aus seiner Bahn geworfen und seine Geschwindigkeit verändert werden, dass deren genaue Bestimmung damit ausgeschlossen ist.
In der skizzierten Weise ist allerdings nur sehr oberfl ächlich ausgedrückt, was durch die Heisenberg’sche Unschärferelation wirklich erkannt wird. Es geht nicht einfach darum, dass sich zwei Eigenschaften eines Elektrons oder anderer Gegebenheiten der atomaren Sphäre nicht gleichzeitig messen lassen (schließlich nimmt man in diesem Fall an, dass die anvisierten Eigenschaften einen aktuellen Wert unabhängig davon haben, ob sie jemand messen will). Heisenberg erkannte vielmehr, dass die Sache in Wahrheit viel schlimmer ist: Es geht weniger um Ungenauigkeit als um Unbestimmtheit. Tatsächlich besitzt ein Elektron gar keine bestimmte Eigenschaft, bis jemand es auf sie abgesehen hat und sich um deren Messung bemüht. Objekte der atomaren Wirklichkeit sind ohne die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit (ohne einen Eingriff) eines Beobachters unbestimmt, und zwar präzise in der Weise, in der es (die mathematisch formulierten) Unbestimmtheitsrelationen angeben. Elektronen halten sich alle Möglichkeiten offen, bevor sie – unter der Vorgabe eines Subjekts in Form des Experimentators – aktuelle Qualitäten annehmen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird an dieser Stelle manchmal vom sogenannten Heisenberg-Schnitt gesprochen, der den Cartesischen Schnitt kittet oder ablöst, den René Descartes im 17. Jahrhundert eingeführt hatte. Der französische Philosoph wollte klar zwischen der Welt des Geistes und der Welt der Dinge unterscheiden können und hat deshalb die Trennung zweier Bereiche vorgenommen, die uns immer noch Probleme schafft. Die Quantenmechanik bindet nun beide Sphären wieder enger zusammen und mildert die Schärfe des Cartesischen Schnittes.
Schönheit der Jugend
Als Heisenberg diese von Physikern zunächst gern verdrängte und von Philosophen zumeist noch lieber ignorierte Einsicht gelang, war er noch keine 26 Jahre alt. (Er war am 5. Dezember 1901 in Würzburg geboren worden, hatte seine Jugend aber in München verbracht, nachdem sein Vater dort Professor für Byzantinistik geworden war.) Trotzdem hatte er damit nicht seine erste große Leistung vollbracht, denn die Erkenntnis, für die er 1933 eigentlich den Nobelpreis für Physik erhalten sollte, lag damals schon einige Jahre zurück. Ein wesentliches Stück jener bahnbrechenden Entdeckung war Heisenberg im Frühjahr 1925 gelungen, wobei ihm ein äußerer Umstand den Weg frei gemacht hat. Im Mai des genannten Jahres musste Heisenberg, der an der Universität Göttingen als Assistent von Max Born an seiner Habilitation arbeitete, seinen Dienstherren um Erlaubnis bitten, von seinen Pflichten entbunden zu werden. Er litt unter einer schweren Allergie (Heuschnupfen), und um sich auskurieren zu können, fuhr er auf die (nahezu
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