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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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sei, und zwar ein schwacher, wie er in Hinblick auf die Wechselwirkung formulierte, die dem Betazerfall die Energie liefert.
Briefe mit Träumen und anderen Nachtseiten
    Im Anschluss an das oben erwähnte Zusammentreffen mit C. G. Jung entwickelt sich zwischen beiden ein wissenschaftliches Gespräch in Briefform, das sowohl der Wissenschaft als auch der Öffentlichkeit lange Zeit unbekannt geblieben und erst in den 1990er-Jahren publiziert worden ist. Pauli versucht darin vor allem mit den zahllosen Träumen fertig zu werden, die sich Nacht für Nacht in seinem Kopf melden.
    Sein Traumleben wird besonders aktiv, nachdem er 1934 zum zweiten Mal geheiratet hat, und zwar Franca Bertram, die freundliche Historiker gerne als »treue Lebensgefährtin für den Rest seines Lebens« vorstellen. Die kinderlos bleibende Ehe hat bis zu Paulis Tod gehalten, und es gibt kein schlechtes Wort von ihm über seine Frau Franca. Doch wahrscheinlich hat sie sich zu viel um ihren Mann gekümmert und dabei zuletzt unverdient gemacht: Da sie nur seine Lichtseite präsentieren und ihn somit anders zeigen wollte, als er war, ist leider anzunehmen, dass sie viele von Paulis intimen Briefen vernichtet hat, in denen er mit aufregenden Gedanken zu philosophischen und psychologischen Fragen oft bis an die Grenze des Denk- und Erkennbaren gegangen ist, wie selbst C.G. Jung einräumen musste.
    Unabhängig von dieser Spekulation darf man jedoch davon ausgehen, dass die meisten Briefe Paulis erhalten geblieben sind. Diesen Schluss legt der bisher veröffentlichte Wissenschaftliche Briefwechsel nahe, der schon heute weit über 5000 Seiten Umfang hat und noch manche Überraschungen verspricht. Um ein Beispiel für die Vielfalt der Gedanken zu geben, die Pauli in Briefform freigiebig anbietet, sei aus der Antwort zitiert, die er auf die Frage seines Mitarbeiters und späteren Nachfolgers Markus Fierz gibt, als der seinen Lehrer nach der Triebfeder seines Tuns fragt. Pauli antwortet: »Warum wir in der Physik die Natur erforschen? Die Alchemie sagte, ›um uns selbst zu erlösen‹, was durch die Herstellung des Lapis Philosophorum [des Steins der Weisen] ausgedrückt wurde. Jungianisch formuliert wäre das die Herstellung eines ›Bewusstseins vom Selbst‹, bzw. eines ›bewussten Zustandes des Selbst‹. Nun ist dieses nicht nur licht, sondern auch dunkel und muss als Totalität auch den Willen zur Macht über die Natur mitenthalten, den ich als eine Art böse Hinterseite der Naturwissenschaften auffasse, die sich von diesen nicht abtrennen lässt. Aber die Antwort auf die gestellte Warum-Frage wird immer das den Rationalisten verhasste Wort ›Heilsweg‹ bleiben, gegen das man sich vergeblich sträubt.«
    Wie in allen nicht zur Veröffentlichung bestimmten Texten von Pauli müssen einige der verwendeten Begriffe in den Zusammenhang gestellt werden, den er beim Schreiben vor Augen hatte, sonst ist der Umfang des Gemeinten nicht zu erkennen. In dem Zitat fallen zwei Begriffe auf, nämlich der »Heilsweg« und die »Hinterseite«, für die er auch oft »Schattenseite« sagte und der zuerst Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.
    Pauli hatte im Laufe seines wissenschaftlichen Lebens verstanden, dass die technischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts – Stichwort: Atombombe – das ethische Fundament der abendländischen Tradition, zu der zweifellos die mathematische Naturwissenschaft zählt, unglaubwürdig gemacht haben. Vielleicht ist auch darin der Grund zu suchen, dass Pauli ruhig und abgeschieden der physikalischen Grundlagenforschung nachging, während nahezu alle bedeutenden Physiker seiner Generation sich in Los Alamos mit der Entwicklung von Kernwaffen abmühten. Der oben zitierte Wille zur Macht, der sich deutlich in dem berühmten Diktum »Wissen ist Macht« ausdrückt, hat sich jedenfalls spätestens im Verlauf des Zweiten Weltkriegs mehr und mehr verselbstständigt und sich von dem eigentlichen – humanen – Ziel der Naturforschung entfernt. Die Rationalität hat dabei massiv Schiffbruch erlitten, wie Pauli am eigenen Leib in Form seiner Psychose erfährt und wie sich heute auf der ganzen Welt zum Beispiel an der Umweltzerstörung zeigt. Die Frage, wie hier durch Wissenschaft Abhilfe zu schaffen ist, muss also dringend beantwortet werden. An dieser Stelle kann nicht oberfl ächlich reagiert werden, denn immerhin geht seit den Tagen der Bombe die alte und von Platon begründete Gleichung nicht mehr auf, der zufolge das Rationale identisch

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