Die Hintertreppe zum Quantensprung
mit dem Guten ist. Was die Griechen vor mehr als 2000 Jahren noch annehmen durften und was der europäischen Wissenschaft lange Zeit hindurch eine ethische Grundlage gab, können und dürfen wir heute nicht mehr glauben, nachdem der wissenschaftliche Sachverstand geplant und gezielt das Böse hervorgebracht hat.
Paulis Vorschläge für einen Ausweg aus diesem Bruch zwischen dem Rationalen und dem Guten basieren alle auf seinem Verlangen nach Symmetrie. Ihm scheint, dass das (christliche) Abendland aufhören muss, das zu verachten, was er »chtonische, instinktive Weisheit« nennt und mit dem Erleben von »Schönheit« in der Natur zu tun hat. Ethik kommt nicht zustande, wenn wir in geistigen Sphären argumentieren und dabei die Ehrfurcht vor dem Leben beschwören. Moralisches Handeln entspringt der Wahrnehmung des anderen und von anderen und der dabei erreichten und praktizierten Wertschätzung seiner und ihrer Besonderheit.
Pauli scheint es darüber hinaus für möglich zu halten – und damit kommt der oben erwähnte Heilsweg ins Spiel –, dass Erfüllung sowohl im Denken wie im Fühlen gefunden werden kann. Mit dem komplementären Paar Denken und Fühlen greift Pauli auf die von C.G. Jung eingeführte Typologie der psychischen Qualitäten (Funktionen) eines Individuums zurück. Wichtig ist Jung dabei, dass in psychologischer Sicht das schwächere der beiden Vermögen die Verbindung zu dem Unbewussten herstellt. Für Pauli ist selbstverständlich, dass zum wissenschaftlichen Tun eines Menschen »das gesunde Funktionieren des Unbewussten« ebenso beiträgt wie die Arbeit von Verstand und Vernunft. Er geht sogar so weit, das ständig wiederholte Nachdenken über einen Gegenstand als wissenschaftliche Methode zu bezeichnen, und zwar deshalb, weil dieser Vorgang so lange fortgesetzt wird, bis das Unbewusste ausreichend aufgewühlt wird und den betroffenen Menschen zu plötzlicher Klarheit führen kann.
Das harmonische Zusammenfinden von Bewusstsein und Unbewusstem als Mittel der Erkenntnis galt für Pauli nicht nur als sein persönliches Ziel. Vielmehr sah er hierin eine allgemeine Aufgabe für den abendländischen Menschen. Als sich zum Beispiel der Philosoph Karl Jaspers in Paulis Todesjahr 1958 Gedanken über Die Atombombe und die Zukunft des Menschen machte, stellte auch er fest, dass die Rationalität in eine Sackgasse geraten war, und zwar deshalb, weil sie nur nach der Machbarkeit frage und Verfügungswissen ohne Orientierungshilfe erzeuge. Jaspers hoffte, dass die Menschen bald lernen würden, mit ihrer Vernunft den Sachverstand zu lenken und einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation zu fi nden.
Pauli stimmte der Analyse zwar zu, traute aber nicht der Vernunft allein. Für ihn kam nur die Besinnung auf komplementäre Gegensatzpaare infrage, wie er es ausdrückte, und er meinte damit das Bewusstsein und das Unbewusste, das Denken und das Fühlen, die Vernunft und den Instinkt, den Logos und den Eros. In der nackten Tatsache, dass die eine Hälfte dieser Liste von Gegensatzpaaren nicht einmal ansatzweise eine Rolle in der Wissenschaft spielt, erkennt Pauli, wie sehr sich das westliche Denken selbst im Weg steht und in seiner Einseitigkeit blockiert.
»Hintergrundsphysik«
In Paulis Briefen wimmelt es von originellen Hinweisen auf die westliche Kultur, deren bloße Erwähnung jeden Rahmen sprengen würde. Auf einen erkenntnistheoretischen Punkt besonderer Art soll hier aber trotzdem hingewiesen werden. In einem Text aus dem Jahre 1948, der erst seit ein paar Jahren in publizierter Form vorliegt (als Anhang in dem von C.A. Meier herausgegebenen Band mit dem Briefwechsel zwischen Wolfgang Pauli und C.G. Jung), stellt ihn Pauli relativ ausführlich vor. Das Manuskript trägt den Titel Hintergrundsphysik und behandelt physikalische Grundbegriffe wie Atom, Atomkern, Energie und Welle als archetypische Symbole. Was ist damit gemeint?
Es wurde bereits gesagt, dass Pauli eine gewisse Skepsis gegenüber der traditionellen Logik in der Forschung hatte. Er hoffte, »dass niemand mehr der Meinung ist, dass Theorien durch zwingende logische Schlüsse aus Protokollbüchern abgeleitet werden, eine Ansicht, die in meinen Studententagen noch sehr in Mode war«. So äußert sich Pauli in einem Aufsatz mit dem Titel Phänomen und physikalische Realität , in dem man weiter lesen kann: »Theorien kommen zustande durch ein vom empirischen Material inspiriertes Verstehen, welches am besten im Anschluss an Plato als zur
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