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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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der Quantentheorie zu hören, die Niels Bohr vor den Göttinger Mathematikern hielt. Der geistige Austausch war ihm überhaupt wichtig. In seiner Jugend- und Studienzeit führte Heisenberg ein naturverbundenes Leben; oft war er mit Freunden mit Zelt und Kochgeschirr im Gebirge unterwegs, und beim abendlichen Lagerfeuer schienen sich dann die jungen Männer gerne gegenseitig dabei zu übertrumpfen, die Unabhängigkeit ihrer Meinung zu demonstrieren. Bei diesen Gesprächen kam eine Wildheit des Denkens zum Vorschein, die sich Heisenberg mit den Wirren der Zeit erklärte. Der Erste Weltkrieg hatte der nachwachsenden Generation vollends das genommen, was Heisenberg den Glauben an »die zentrale Ordnung« oder »die wirksame Mitte« nennt. Solch eine Instanz musste wiedergefunden werden, und Heisenberg schienen die Naturwissenschaften der beste Ort dafür zu sein; vielleicht gab es hier sogar die Möglichkeit, »der Wahrheit gegenüberzutreten«. Die Grunderkenntnis seiner Jugend bestand jedenfalls darin, dass auf sich alleine angewiesen war, wer nach neuen Ufern aufbrechen wollte. Heisenberg hatte dabei den Vorteil, von Anfang an sicher sein zu können, dass seine Geisteskräfte reichten, um stets ganz vorne mit dabei zu sein und meist sogar als Erster anzukommen.
    Sein Lehrer Sommerfeld erkannte die Begabung Heisenbergs rasch, weshalb er ihn auch nach Göttingen schickte, als Bohr dort seine berühmte Vorlesungsreihe hielt, die als »Bohr-Festspiele« in die Geschichte der Physik eingegangen sind. Heisenberg gehörte zu den jüngsten Zuhörern in dem zwar riesigen, aber dennoch hoffnungslos überfüllten Saal. Obwohl er sich eher winzig zwischen all den berühmten Professoren vorkommen musste, stellte er trotzdem selbstbewusst eine kritische Frage. Er wagte es sogar, Bohr zu widersprechen und brachte den großen Mann in leichte Verlegenheit. Bohr reagierte allerdings neugierig und lud den jungen Unruhestifter zu einem Spaziergang ein. »Dieser Spaziergang«, so Heisenberg in seiner Autobiografi e, »hat auf meine spätere Entwicklung den stärksten Einfl uss ausgeübt, oder man kann vielleicht besser sagen, dass meine eigentliche Entwicklung erst mit diesem Spaziergang begonnen hat.«
    Was hier als physikalisch-philosophisches Gespräch zwischen dem damals fast 40-jährigen dänischen Nobelpreisträger und dem gerade 20-jährigen deutschen Studenten begann, entwickelte sich zu einer äußerst erfolgreichen wissenschaftlichen Zusammenarbeit, die zunächst durch menschliche Nähe und tiefe Gemeinsamkeit geprägt war, um schließlich in einem unmenschlichen politischen Rahmen mit übermenschlichen Aufgaben entsetzlich zu scheitern. Das Wechselspiel von Bohr und Heisenberg bietet umfassend literarischen Rohstoff, und es scheint, dass man ihm nur in Form der Dichtung oder einer anderen Kunstform adäquat oder wenigstens nachvollziehbar beikommen kann.
    Doch nun von Anfang an. In den ersten Jahren ist das Verhältnis zwischen Heisenberg und Bohr reines und ungetrübtes Glück, vielleicht von der Sorte, wie es ein Vater und sein Sohn erfahren können, wenn beide in dieselbe Richtung wollen und Großes nicht nur gelingen kann, sondern auch bald zustande kommt. Es dauert nicht lange, bis Bohr Heisenberg nach Kopenhagen einlädt, und beide zusammen sorgen dafür, dass Bohrs dortiges Institut zu dem Ort wird, an dem die neue Physik in ihren philosophischen Dimensionen erfasst und verstanden wird. Im Wechselspiel zwischen dem jungen Ideenproduzenten Heisenberg, der sich immer in höchster Erregung befindet, und dem geduldigen wie unermüdlichen Bohr, der stets die Tiefe und Weite eines Gedankens auslotet, wird der wichtigste philosophische Fortschritt des 20. Jahrhunderts zum belebenden Ereignis. Selbst heute noch wird von der prägenden Kraft der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie gesprochen, wobei es seltsam auffällig ist, dass es keinen gemeinschaftlichen Text von Bohr und Heisenberg gibt, der die unmissverständliche Deutung enthalten würde und somit maßgeblich für die Interpretation der Quantenwirklichkeit wäre. Erst 1963 hat der Wissenschaftshistoriker Armin Hermann in der Reihe »Dokumente der Naturwissenschaft« unter dem Titel Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie die beiden Publikationen herausgegeben (und mit einem Nachwort versehen), die zentral für dieses Thema sind. Dabei handelt es sich um Heisenbergs Arbeit »Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik«, die in

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