Die Hintertreppe zum Quantensprung
und erlaubt ihm, sich im Ausland umzusehen. In den nächsten Jahren lebt und arbeitet er in England, der Schweiz und Dänemark, wobei der Aufenthalt im Kopenhagener Institut von Niels Bohr den stärksten Eindruck hinterlässt. Dort waren junge Physiker aus so vielen Ländern vertreten, dass sich die Regel etablierte, öffentliche Auftritte nur in einer anderen als der Muttersprache absolvieren zu dürfen. Hier in dem freien Wechselspiel des Denkens und Argumentierens lebt Landau auf, und zwar so mächtig, dass er sich anschließend als Bohrs Schüler betrachtet und sein Leben lang so bezeichnet. Landau kehrt in den frühen 1930er-Jahren noch zweimal nach Kopenhagen zurück, um unter anderem über Fragen der Messbarkeit von physikalischen Größen im Rahmen der erweiterten neuen Theorie – einer relativistischen Quantentheorie – nachzudenken.
Vielseitigkeit
Was Landau an den großen Stars der Physik wie etwa Heisenberg beeindruckt, ist neben ihrem Scharfsinn bei der Lösung einzelner Probleme auch der Umfang des Interesses, mit dem sie ihre Wissenschaft erfassen. Er wird es ihnen in den kommenden Jahren nachtun und sich zu einem der vielseitigsten Forscher entwickeln, die seine Disziplin kennt. Zu der Vielfalt seiner Themen gehören der Magnetismus, die Eigenschaften von Metallen bei tiefen Temperaturen, die elektronischen Merkmale von Supraleitern, die Theorien von Phasenübergängen (wie sie etwa von flüssig zu gasförmig oder von flüssig zu fest stattfinden, wenn Wasser verdampft oder gefriert) und viele weitere Phänomene. Unter Supraleitung verstehen die Physiker das Verschwinden des elektrischen Widerstands, wie er beispielsweise in Metallen beobachtet werden kann, wenn diese Festkörper auf sehr tiefe Temperaturen abgekühlt werden. Dabei meint »tief«, dass man sich bis auf ein paar Grad auf den absoluten Nullpunkt zubewegt, der bei runden minus 273 Grad Celsius liegt.
1937 hatten russische Physiker unter der Leitung von Pjotr Kapitza ein weiteres merkwürdiges Phänomen entdeckt, das bei solch tiefen Temperaturen auftritt. Sie hatten Helium, das unter normalen Umständen als Gas vorliegt, so weit abgekühlt, dass es flüssig wurde. Unterhalb einer bestimmten – der sogenannten kritischen – Temperatur geschah nun etwas Besonderes. Das flüssige Helium fi ng an, die Wände des Gefäßes hochzukriechen, in denen es eingeschlossen war. Es drang darüber hinaus in engste Öffnungen (Kapillare) ein und schien ohne jede Reibung zu strömen. Bald wurde klar, dass das flüssige Helium einen Zustand angenommen hatte, in dem jede innere Reibung verschwunden war und sich die dazugehörigen Atome (Teilchen) unbeeinflusst bewegten. Man sprach von der Eigenschaft der Suprafluidität, nannte das tiefgekühlte Helium eine Supraflüssigkeit und fragte nach einer entsprechenden Erklärung durch die Physik.
Landau wagte sich an das merkwürdige Phänomen, für dessen Entdeckung Kapitza 1978 den Nobelpreis für Physik erhalten sollte. Die Suprafl uidität erschien als etwas völlig Ungewohntes und galt allein deshalb als höchst komplex, weil es bei ihr ja nicht um Eigenschaften einzelner Heliumatome, sondern um deren Strömungen im Verbund ging. Nun gehörte es immer schon zu den schwierigen Themen der Physik, Flüssigkeiten im Rahmen der klassischen Theorien zu behandeln. Es erforderte daher ziemlichen Mut von Landau, überhaupt den Versuch zu unternehmen, der dabei entstandenen, anspruchsvollen Wissenschaft namens »Hydrodynamik« eine Quantenform an die Seite zu stellen. Aber den ehrgeizigen Aspiranten reizte die Aufgabe, kollektive Phänomene zu erklären, denn sie machen das eigentliche Wirken der Natur aus, auf dessen Verstehen es Landau letzen Endes ankam. Er war sich darüber im Klaren, dass er statistisch argumentieren musste. Um damit so einfach wie möglich zu beginnen, entwarf er ein Modell des suprafluiden Heliums, das aus zwei Komponenten zusammengesetzt war, welche mit einer bestimmten, von der Temperatur abhängenden Wahrscheinlichkeit auftraten. Eine der beiden flüssigen Formen agierte normal (sie hatte normale Fließeigenschaften), und die andere zeigte sich suprafluide (die dazugehörige Quantenmechanik und die mathematisch Behandlung der beiden Flüssigkeitsanteile als »Quasiteilchen« bzw. als »elementare Anregungen« übergehen wir an dieser Stelle).
Was Landau besonders an dem suprafl uiden Zustand von Helium lockte, war die Beobachtung, dass diese merkwürdige Flüssigkeit
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