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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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dem der Tunneleffekt in unsere alltägliche Welt getragen wird. Es gelingt dem Helden nämlich, Wände zu durchschreiten, um auf die gleiche Weise von innen nach außen (oder in ein anderes Zimmer) zu gelangen, wie es atomare Teilchen schaffen, die Gefangenschaft im Kern innen mit dem Aufenthalt in der freien Welt außen zu tauschen.
    Der Tunneleffekt musste Gamow sympathisch sein, und 1928 konnte er zeigen, dass die atomare Flucht durch eine Anwendung der neuen Mechanik verstanden werden konnte, wobei sich die von Schrödinger entwickelte Wellenmechanik als entscheidende Hilfe erwies. Zwar hatte Schrödinger selbst noch gemeint, beispielsweise Elektronen als konkrete Wellen betrachten zu können. Aber Gamows Bemühen machte bald klar, dass das, was Schrödingers Gleichung erfasste, als eine komplexe Wahrscheinlichkeit für ein Teilchen verstanden werden musste, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Und die Lösung von Schrödingers Gleichung billigte den Elektronen eine zwar kleine, aber eben real existierende und nicht verschwindende Wahrscheinlichkeit zu, den Wall zu überwinden, mit dem die Natur ihre Kerne umgibt. Kurz, die Objekte aus der atomaren Sphäre mogeln sich mehr oder weniger unterhalb der Energiebarriere durch. Seitdem kennt man den Tunneleffekt, der zum Beispiel in der Kosmologie längst unentbehrlich geworden ist, um die Energiequelle der Sonne zu verstehen. Zwar hatten Physiker längst erkannt, dass dort Energie in Form von Wärme entsteht, wenn Wasserstoffe zu Helium verschmelzen. Aber sie wussten zunächst nicht, wie diese Fusion zustande kommen sollte, wenn Atomkerne von hohen Barrieren umgeben waren. Die Antwort lieferte der Tunneleffekt, und so konnte Gamow mit seiner Theorie nicht nur Ruhm ernten, sondern in das kosmologische Geschäft zurückkehren, das er in den frühen Jahren seines Studiums betreten hatte.
Ylem
    Der Tunneleffekt macht insgesamt viele Beobachtungen verständlich, die von der Spaltung von Urankernen bis zur Entwicklung von modernen Mikroskopen reichen. Als Beispiel soll hier das in den 1980er-Jahren mit dem Nobelpreis gewürdigte Rastertunnelmikroskop genannt werden, das wir Gerd Binnung und Heinrich Roher verdanken und bei dem eine Oberfläche mit einer Spitze abgetastet wird, ohne dass sie berührt wird.
    Gamow selbst bekam mit dem zwar erklärten, aber geheimnisvoll bleibenden Tunneln plötzlich die Chance, sich sinnvoll Gedanken über der Anfang der Welt zu machen. In den 1920er-Jahren war ja nicht nur die Quantentheorie aufgekommen, sondern auch die Expansion des Kosmos erkannt worden. Diese musste von einem Anfangspunkt oder Urzustand des Kosmos ausgehen, der heute als Urknall bezeichnet wird. Gamow versuchte, daraus eine physikalisch nachprüfbare Frage zu formulieren, und zwar so: Wenn die Konzeption eines singulären Moments – eines Urknalls – als Weltentstehung in der Fachwelt akzeptiert werden wollte, dann musste sie zum Beispiel erklären, woher die Elemente kamen und warum manche sehr viel häufi ger auftraten als andere.
    Gamow nahm sich konkret vor, die Frage anzugehen, wie Atomkerne entstehen, was technisch unter den Begriff »Nukleosynthese« gefasst wurde. Messungen hatten gezeigt, dass der simple Wasserstoff (H), bei dem ein Proton von einem Elektron umsponnen wird, das mit Abstand häufigste Element des Universums ist. Auf 10 000 Wasserstoffe kamen rund 10 000 Heliumatome, sechs Sauerstoffatome und ein Kohlenstoffatom, während der gesamte Rest noch seltener als die zuletzt genannte Sorte ist. Konnte die Hypothese einer punktförmigen Urexplosion in einem ersten Schritt erklären, warum und woraus in den ersten Momenten der Welt vor allem Wasserstoff entstanden ist? Und konnte sie in einem zweiten Schritt die ungleiche Verteilung der schwereren Elemente erfassen?
    Gamow spekulierte, aber er blieb diszipliniert und orientierte seine wilden Ideen an konkreten Zahlen. So konnte man damals genau sagen, wie viel Helium die Sonne enthielt, und zudem angeben, wie viel Helium sie pro Sekunde dank der Kernfusion und des dazugehörigen Tunnels anfertigte. Aus beiden Zahlen ließ sich leicht berechnen, dass die Sonne rund 30 Milliarden Jahre gebraucht hatte, um ihren heutigen Zustand zu erreichen – was aber Unsinn sein musste, da die Welt insgesamt jünger war. Also, so überlegte Gamow, muss Helium schon im Urknall selbst entstanden sein. Aber wie?
    Die Überlegungen kamen nicht so recht voran, bis Gamow merkte, dass er in den 1940er-Jahren fast der

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