Die Hintertreppe zum Quantensprung
Lehre sucht, wird hier fündig. Das beginnt mit dem ersten Band, der schlicht Mechanik heißt und in seinem zweiten Kapitel über Erhaltungssätze informiert. Auf knappstem Raum führen Landau und Lifschitz vor, wie die Erhaltungssätze der Physik aus elementaren Eigenschaften von Raum und Zeit folgen. Weil die Zeit homogen ist – das Ergebnis eines physikalischen Experiments hängt nicht von der Uhrzeit ab –, stellt die Energie eine Größe dar, für die es einen Erhaltungssatz geben muss. Und weil der Raum ebenfalls homogen anzunehmen ist – die Gesetze der Physik ändern sich nicht, wenn jemand sie weiter links oder rechts prüft –, gilt auch ein Erhaltungssatz für den Impuls. Es ist ein ästhetisches Prinzip, das Landau hier vorführt, da die Homogenität von Raum und Zeit als Symmetrie der entsprechenden Gleichungen dargestellt werden kann. Dann folgt laut Landau aus einer (mathematischen) Symmetrie eine physikalische Konstanz, und solche Einsichten kann und muss man genießen.
Leben und Sterben in Moskau
Landau hat mit dem Verfassen ungewöhnlicher Bücher zur Physik begonnen, sobald er nach Moskau gekommen war, also 1937. Er entwarf damals einen Kurs obshche fi ziki – eine Allgemeine Physik , welche den Leser mit dem physikalischen Denken und den wichtigsten Gesetzen, die ihm zu verdanken sind, vertraut machen sollte. Wer darin liest, wird immer wieder erstaunt sein, auf welchen Wegen man von Landau hinter die Phänomene geführt wird, um sie von da aus besser durchschauen zu können.
Wir wissen inzwischen – etwa durch das Buch Terror und Traum des Historikers Karl Schlögel –, dass das genannte Jahr für Moskau ein markantes Todesdatum darstellt. Stalin wütete und verwüstete von dort aus ein ganzes Land. »Mit dem Jahre 1937 endeten jäh Menschenleben. Es sandte seine Schockwellen durch das ganze Land und war noch weit über die Grenzen hinaus spürbar. Innerhalb eines Jahres wurden an die zwei Millionen Menschen verhaftet, an die 700 000 ermordet, fast 1,3 Millionen in Lager und Arbeitskolonien verschickt«, wie Schlögel feststellen muss.
Wir kennen bis heute kaum den rationalen Kern dieser grausamen Ereignisse, und wir wissen auch nicht, wie weit Landau von ihnen wusste oder was er von ihnen spürte. Wir wissen aber, dass er an die Ideale der Revolution von 1917 glaubte und 1938 ein Flugblatt verfasste, das zum Sturz von Stalin aufrief – mit der Folge, inhaftiert und unsanft behandelt (geschlagen) zu werden. Nur weil der berühmte Physiker Pjotr Kapitza sich persönlich für ihn einsetzte und den politischen Führern erklärte, dass nur Landau in der Lage sei, die moderne Physik zu verstehen, zu lehren und zu fördern, überlebte dieser die Martern, die ihm das sogenannte Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten zufügte.
Möglicherweise hat ihn seine Begeisterung für die Physik der Quantenflüssigkeiten über die stalinistischen Jahre getragen und geistig gerettet. Es ist zumindest bemerkenswert, dass Landau sie ausgerechnet in den Jahren des Terrors durch die elegante und originelle Einsicht bereichern konnte, dass nicht nur eine Symmetrie die Physik beeinfl usst, sondern auch ihre Brechung. Während eine Symmetrie – wie erwähnt – für die Erhaltung einer Größe sorgt, bringt ihre Aufhebung eine Veränderung – etwa ein neues Muster – und somit eine physikalische Wirkung mit sich, die auf diese Weise erklärt werden kann. Als Beispiel für eine Symmetriebrechung kann man sich einen Festkörper vorstellen, in dem zunächst alle Elektronen durcheinanderschwirren und damit eine homogene Verteilung zeigen, bis sie durch ein Absenken der Temperatur in ihrer Aktivität so eingeschränkt werden, dass sie eine Bewegungsrichtung vorziehen. Als Ergebnis entsteht eine messbare Magnetisierung und der Festkörper agiert als sogenannter Ferromagnet.
Das Konzept der Symmetriebrechung wirkt bis in das 21. Jahrhundert hinein. Es liegt längst der modernen Physik von Elementarteilchen zugrunde, und seine Anwendung ist gerade in jüngster Zeit mit Nobelpreisen ausgezeichnet worden. Landau selbst hat ebenfalls den begehrten Preis der Schwedischen Akademie bekommen, und zwar für seine »bahnbrechenden Theorien der kondensierten Materie, insbesondere des flüssigen Heliums«, wie es die Begründung ausdrückt. Allerdings: Die Einladung nach Stockholm kam ausgerechnet 1962, also in dem Jahr, in dem er einen Lastwagen gerammt hatte und mit dem Tode rang. Man musste ihn viermal
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