Die Hintertreppe zum Quantensprung
besser als jede andere Form der Materie Wärme leiten konnte. Man kann dies im Laboratorium sofort erkennen, weil das Helium in dem Moment, in dem es suprafluide wird, eine vollkommen glatte und ruhige Oberfläche aufweist. Die Hitze, die etwa in kochendem Wasser in Form von Blasen aufsteigt, weil es ihr sonst zu langsam geht, und wilde Bewegungen verursacht, entweicht im suprafluiden Helium allein von dessen Oberfl äche, weil sie sich nahezu sofort dorthin begeben kann. Wie Landau erkannte, wurde die Bewegung des suprafl uiden Anteils des Heliums nicht durch irgendeinen Transport von Wärme begleitet. Das legte den Gedanken nahe, dass die normale Komponente die Wärme selbst sein konnte, die sich dabei von der Masse, welche die Flüssigkeit ausmachte, abgesondert hatte. Diese Vorstellung weicht natürlich radikal von den traditionellen Ideen ab, die Physiker zum Verständnis von Wärme entwickelt haben und in der sie diese Erscheinung durch die Bewegung von Molekülen deuten (und zwar sowohl qualitativ als auch quantitativ mit größtem Erfolg).
Wenn solche Sätze von einer Person gelesen werden, die Quantenphysik vom Hörensagen kennt, wird sie sich wundern und an die Klage der frühen Quantentheoretiker erinnert: »Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.« Tatsächlich kann einen der Umgang mit den Quantensprüngen und ihren Folgen an den Rand des Wahnsinns treiben, aber wir können uns trotzdem nicht aussuchen, wie es in der Natur zugeht. Landau hatte jedenfalls als Forscher immer wieder Vergnügen, das Quantenhafte ihres Wesens auszukosten, und er konnte sogar ein erstes umfassendes Verständnis des Atomkerns vorlegen, indem er ihn – erneut mit raffinierten Methoden der statistischen Physik – als einen Tropfen beschrieb, der natürlich nicht aus einem klassischen Saft bestehen konnte, sondern vielmehr als »Quantenfl üssigkeit« existieren musste.
Landaus tiefes Interesse an Quantenfl üssigkeiten wie dem suprafluiden Helium hängt übrigens mit seinem dringenden Wunsch zusammen, im sinnlich zugänglichen Bereich des alltäglichen Makrokosmos ein Phänomen zu finden, das nur durch die Existenz von Quanten erklärt werden kann. Er träumte davon, die Quanten für Laien so erfahrbar und erlebbar zu machen, wie sie es für die Fachleute sind bzw. im Laufe ihrer Arbeit werden. Vielleicht sollte man all die vielen Didaktiker, die sich um einen besseren Physikunterricht bemühen, vor folgende »Landau-Heraus-forderung« stellen: Durch welche Erscheinung zeigt uns die sinnlich zugängliche Welt unmittelbar, dass sie eine Quantennatur hat und dementsprechend Sprünge ausführen muss, um so zu sein, wie sie sich zeigt?
Der Lehrer
Landau war aber nicht nur ein vielseitiger Forscher, sondern auch ein überragender Lehrer. Schon früh hat er sich zum Thema Pädagogik Gedanken gemacht. 1932 war er nach Charkow gegangen, um hier in der Ukraine eine Bildungseinrichtung zu leiten, die aus dem Leningrader Institut, an dem er seine erste Aspirantur bekommen hatte, hervorgegangen war. 1935 wurde der inzwischen immerhin 27-jährige Landau zum Professor für Allgemeine Physik in Charkow, und in dieser Position entwarf er als Lehrer das Konzept eines »theoretischen Minimums«, mit der er die Grundkenntnisse meinte, die jemand in der theoretischen Physik haben muss, um wissenschaftlich erfolgreich arbeiten und forschen zu können.
Er selbst bemühte sich in seinen Vorlesungen um die Vermittlung solch eines Minimums, und er ließ es sich nicht nehmen, persönlich in den Prüfungen herauszufi nden, ob das erhoffte Grundwissen bei den Studenten angekommen war oder nicht. Dabei muss er nicht gerade milde mit den Studenten umgegangen sein, was sie veranlasste, an der Tür zu seinem Büro ein Schild mit dem Hinweis »Vorsicht – bissig« anzubringen.
Im Frühling 1937 wurde Landau nach Moskau geholt. Hier blieb er für den Rest seines Lebens und leitete bis zu seinem Unfall die Theoretische Abteilung des Instituts für Physikalische Probleme, wie es nun einmal in origineller amtlicher Weise heißt. Wissenschaftlich arbeitete er weiter an seiner Beschreibung von Quantenfl üssigkeiten, und in pädagogischer Hinsicht verbesserte er ständig seine Vorlesungen. Im Laufe der Jahrzehnte konnten sie dank der Mitarbeit von Jewgeni M. Lifschitz zu einem maßgeblichen und international anerkannten Lehrbuch für Theoretische Physik ausgearbeitet werden, das insgesamt zehn Bände umfasst. Wer Schönheit und Eleganz in der
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